unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater voraus- gega[n]gen war. Alle diese Weisheiten der modernen Phi[l]osophie waren ihr ja so gleichgültig. Die Stürme ihre[r] Seele waren vorüber. Ihr Blut war todt. Gre[n]zenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor ihr ... eine große, öde, handflache Ebene .. lag es [v]or ihr .. würde es vor ihr liegen, weiter und wei[t]er -- wenn sie es nicht eines Tages freiwillig aus[b]lies ... lag es vor ihr mit seinem kleinlichen Ka[m]pf ums Dasein, seinen erbärmlichen Mühen und So[r]gen, seinem reizlosen, einförmigen, so unendlich über[f]lüssigen Wellenschlage ... Immer dieselbe Me- cha[n]ik, immer dasselbe einschläfernde Surren der Spin- del .. Hatte ihr die Philosophie ihres Vaters diese Ruh[e] und Kälte und Theilnahmlosigkeit gebracht? Da[m]als, als sich die Wasser der Katastrophe ver- lauf[e]n, hatte er sie eingeführt in seine Gedankenwelt, in s[e]ine philosophischen Glaubenssätze .. hatte er ihr [S]tille und Trost durch die Erkenntniß brin- gen wollen. Nun -- und? Darüber waren fast fünf Jahre hingegangen. Die Stürme ihrer Seele war[e]n vorüber, ihr Blut war todt, ihre Natur ein- gefr[o]ren. Manchmal wohl ... manchmal raschelte plötz[l]ich ein heißer, schwüler Sehnsuchtshauch durch die [d]ürren Blätter der Resignationsphilosophie, in der [i]hr Vater lebte und deren Resultate auch ihr einle[u]chten mußten. Aber sie konstatirte eigentlich diese Resu[l]tate nur vernunftsmäßig, sie besaß nicht Grund und [B]edürfniß, sich dieselben verinnerlicht zuzueignen.
Hedwig hatte auf dem schmalen, engen, von
unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater voraus- gega[n]gen war. Alle dieſe Weisheiten der modernen Phi[l]oſophie waren ihr ja ſo gleichgültig. Die Stürme ihre[r] Seele waren vorüber. Ihr Blut war todt. Gre[n]zenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor ihr … eine große, öde, handflache Ebene .. lag es [v]or ihr .. würde es vor ihr liegen, weiter und wei[t]er — wenn ſie es nicht eines Tages freiwillig aus[b]lies … lag es vor ihr mit ſeinem kleinlichen Ka[m]pf ums Daſein, ſeinen erbärmlichen Mühen und So[r]gen, ſeinem reizloſen, einförmigen, ſo unendlich über[f]lüſſigen Wellenſchlage … Immer dieſelbe Me- cha[n]ik, immer daſſelbe einſchläfernde Surren der Spin- del .. Hatte ihr die Philoſophie ihres Vaters dieſe Ruh[e] und Kälte und Theilnahmloſigkeit gebracht? Da[m]als, als ſich die Waſſer der Kataſtrophe ver- lauf[e]n, hatte er ſie eingeführt in ſeine Gedankenwelt, in ſ[e]ine philoſophiſchen Glaubensſätze .. hatte er ihr [S]tille und Troſt durch die Erkenntniß brin- gen wollen. Nun — und? Darüber waren faſt fünf Jahre hingegangen. Die Stürme ihrer Seele war[e]n vorüber, ihr Blut war todt, ihre Natur ein- gefr[o]ren. Manchmal wohl … manchmal raſchelte plötz[l]ich ein heißer, ſchwüler Sehnſuchtshauch durch die [d]ürren Blätter der Reſignationsphiloſophie, in der [i]hr Vater lebte und deren Reſultate auch ihr einle[u]chten mußten. Aber ſie konſtatirte eigentlich dieſe Reſu[l]tate nur vernunftsmäßig, ſie beſaß nicht Grund und [B]edürfniß, ſich dieſelben verinnerlicht zuzueignen.
Hedwig hatte auf dem ſchmalen, engen, von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0031"n="23"/><lb/>
unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater voraus-<lb/>
gega<supplied>n</supplied>gen war. Alle dieſe Weisheiten der modernen<lb/>
Phi<supplied>l</supplied>oſophie waren ihr ja ſo gleichgültig. Die Stürme<lb/>
ihre<supplied>r</supplied> Seele waren vorüber. Ihr Blut war todt.<lb/>
Gre<supplied>n</supplied>zenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor<lb/>
ihr … eine große, öde, handflache Ebene .. lag<lb/>
es <supplied>v</supplied>or ihr .. würde es vor ihr liegen, weiter und<lb/>
wei<supplied>t</supplied>er — wenn ſie es nicht eines Tages freiwillig<lb/>
aus<supplied>b</supplied>lies … lag es vor ihr mit ſeinem kleinlichen<lb/>
Ka<supplied>m</supplied>pf ums Daſein, ſeinen erbärmlichen Mühen und<lb/>
So<supplied>r</supplied>gen, ſeinem reizloſen, einförmigen, ſo unendlich<lb/>
über<supplied>f</supplied>lüſſigen Wellenſchlage … Immer dieſelbe Me-<lb/>
cha<supplied>n</supplied>ik, immer daſſelbe einſchläfernde Surren der Spin-<lb/>
del .. Hatte ihr die Philoſophie ihres Vaters dieſe<lb/>
Ruh<supplied>e</supplied> und Kälte und Theilnahmloſigkeit gebracht?<lb/>
Da<supplied>m</supplied>als, als ſich die Waſſer der Kataſtrophe ver-<lb/>
lauf<supplied>e</supplied>n, hatte er ſie eingeführt in ſeine Gedankenwelt,<lb/>
in ſ<supplied>e</supplied>ine philoſophiſchen Glaubensſätze .. hatte er<lb/>
ihr <supplied>S</supplied>tille und Troſt durch die <hirendition="#g">Erkenntniß</hi> brin-<lb/>
gen wollen. Nun — und? Darüber waren faſt<lb/>
fünf Jahre hingegangen. Die Stürme ihrer Seele<lb/>
war<supplied>e</supplied>n vorüber, ihr Blut war todt, ihre Natur ein-<lb/>
gefr<supplied>o</supplied>ren. Manchmal wohl … manchmal raſchelte<lb/>
plötz<supplied>l</supplied>ich ein heißer, ſchwüler Sehnſuchtshauch durch<lb/>
die <supplied>d</supplied>ürren Blätter der Reſignationsphiloſophie, in<lb/>
der <supplied>i</supplied>hr Vater lebte und deren Reſultate auch ihr<lb/>
einle<supplied>u</supplied>chten mußten. Aber ſie konſtatirte eigentlich dieſe<lb/>
Reſu<supplied>l</supplied>tate nur vernunftsmäßig, ſie beſaß nicht Grund<lb/>
und <supplied>B</supplied>edürfniß, ſich dieſelben verinnerlicht zuzueignen.</p><lb/><p>Hedwig hatte auf dem ſchmalen, engen, von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[23/0031]
unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater voraus-
gegangen war. Alle dieſe Weisheiten der modernen
Philoſophie waren ihr ja ſo gleichgültig. Die Stürme
ihrer Seele waren vorüber. Ihr Blut war todt.
Grenzenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor
ihr … eine große, öde, handflache Ebene .. lag
es vor ihr .. würde es vor ihr liegen, weiter und
weiter — wenn ſie es nicht eines Tages freiwillig
ausblies … lag es vor ihr mit ſeinem kleinlichen
Kampf ums Daſein, ſeinen erbärmlichen Mühen und
Sorgen, ſeinem reizloſen, einförmigen, ſo unendlich
überflüſſigen Wellenſchlage … Immer dieſelbe Me-
chanik, immer daſſelbe einſchläfernde Surren der Spin-
del .. Hatte ihr die Philoſophie ihres Vaters dieſe
Ruhe und Kälte und Theilnahmloſigkeit gebracht?
Damals, als ſich die Waſſer der Kataſtrophe ver-
laufen, hatte er ſie eingeführt in ſeine Gedankenwelt,
in ſeine philoſophiſchen Glaubensſätze .. hatte er
ihr Stille und Troſt durch die Erkenntniß brin-
gen wollen. Nun — und? Darüber waren faſt
fünf Jahre hingegangen. Die Stürme ihrer Seele
waren vorüber, ihr Blut war todt, ihre Natur ein-
gefroren. Manchmal wohl … manchmal raſchelte
plötzlich ein heißer, ſchwüler Sehnſuchtshauch durch
die dürren Blätter der Reſignationsphiloſophie, in
der ihr Vater lebte und deren Reſultate auch ihr
einleuchten mußten. Aber ſie konſtatirte eigentlich dieſe
Reſultate nur vernunftsmäßig, ſie beſaß nicht Grund
und Bedürfniß, ſich dieſelben verinnerlicht zuzueignen.
Hedwig hatte auf dem ſchmalen, engen, von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.