Persönlichkeitsmoment das andere in der Herrschaft ab. Jedoch sind diese Menschen sehr oft nachdrück- lichster Hochgefühle fähig, dabei alle Kräfte sich zu ein- heitlicher Stärke zusammenschließen -- und darum müssen sie so oft auch die Gegenwirkung auf diesen Aufschwung: eine allgemeine Gleichgültigkeit, eine schwere, blutleere Herabgestimmtheit, über sich er- gehen lassen. Ist das nicht eigentlich ihr -- was man so nennt: ihr "Normalzustand"? Adam Mensch war sich soweit klar über sich, daß er diese Wesen- heit seiner Natur erkannt hatte und sie zuweilen berücksichtigte, das heißt: sich mit ihr tröstete. Die klare Einsicht in eine Thatsache hat ja immer etwas Tröstendes -- nicht wahr? Aber bestätigte er mit diesem Troste nicht sein Leben -- seine Neigung zum Leben? War da nicht sein "Wille zum Leben" thätig? Wohl doch. Und dann: hatte er das Leben eigentlich schon "genossen"? Oefter packte ihn -- oh! er erinnerte sich dessen! -- ein wahrer Heiß- hunger auf das gewissenhafte, feierliche Genießen der buntesten, tollsten, seltensten, süßesten Lebens- reize. Allein dieser Heißhunger war im Grunde doch sehr gegenstandslos. Wissenschaftlichen Ehrgeiz be- saß Adam nicht. Zur Liebe hatte er nicht Geduld, nicht Ausdauer mehr. Erkenntnißresultate befriedig- ten ihn nicht, da er wußte, daß es ihm doch nicht gegeben war, dem mystisch-metaphysischen Drange seiner Seele ganz zu genügen. Ja! Unberechenbar in seinen Stimmungen, in seinen Neigungen und Launen; zersplittert in seinen Kräften; unbeständig,
Perſönlichkeitsmoment das andere in der Herrſchaft ab. Jedoch ſind dieſe Menſchen ſehr oft nachdrück- lichſter Hochgefühle fähig, dabei alle Kräfte ſich zu ein- heitlicher Stärke zuſammenſchließen — und darum müſſen ſie ſo oft auch die Gegenwirkung auf dieſen Aufſchwung: eine allgemeine Gleichgültigkeit, eine ſchwere, blutleere Herabgeſtimmtheit, über ſich er- gehen laſſen. Iſt das nicht eigentlich ihr — was man ſo nennt: ihr „Normalzuſtand“? Adam Menſch war ſich ſoweit klar über ſich, daß er dieſe Weſen- heit ſeiner Natur erkannt hatte und ſie zuweilen berückſichtigte, das heißt: ſich mit ihr tröſtete. Die klare Einſicht in eine Thatſache hat ja immer etwas Tröſtendes — nicht wahr? Aber beſtätigte er mit dieſem Troſte nicht ſein Leben — ſeine Neigung zum Leben? War da nicht ſein „Wille zum Leben“ thätig? Wohl doch. Und dann: hatte er das Leben eigentlich ſchon „genoſſen“? Oefter packte ihn — oh! er erinnerte ſich deſſen! — ein wahrer Heiß- hunger auf das gewiſſenhafte, feierliche Genießen der bunteſten, tollſten, ſeltenſten, ſüßeſten Lebens- reize. Allein dieſer Heißhunger war im Grunde doch ſehr gegenſtandslos. Wiſſenſchaftlichen Ehrgeiz be- ſaß Adam nicht. Zur Liebe hatte er nicht Geduld, nicht Ausdauer mehr. Erkenntnißreſultate befriedig- ten ihn nicht, da er wußte, daß es ihm doch nicht gegeben war, dem myſtiſch-metaphyſiſchen Drange ſeiner Seele ganz zu genügen. Ja! Unberechenbar in ſeinen Stimmungen, in ſeinen Neigungen und Launen; zerſplittert in ſeinen Kräften; unbeſtändig,
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Perſönlichkeitsmoment das andere in der Herrſchaft
ab. Jedoch ſind dieſe Menſchen ſehr oft nachdrück-
lichſter Hochgefühle fähig, dabei alle Kräfte ſich zu ein-
heitlicher Stärke zuſammenſchließen — und darum
müſſen ſie ſo oft auch die Gegenwirkung auf dieſen
Aufſchwung: eine allgemeine Gleichgültigkeit, eine
ſchwere, blutleere Herabgeſtimmtheit, über ſich er-
gehen laſſen. Iſt das nicht eigentlich ihr — was
man ſo nennt: ihr „Normalzuſtand“? Adam Menſch
war ſich ſoweit klar über ſich, daß er dieſe Weſen-
heit ſeiner Natur erkannt hatte und ſie zuweilen
berückſichtigte, das heißt: ſich mit ihr tröſtete. Die
klare Einſicht in eine Thatſache hat ja immer etwas
Tröſtendes — nicht wahr? Aber beſtätigte er mit
dieſem Troſte nicht ſein Leben — ſeine Neigung
zum Leben? War da nicht ſein „Wille zum Leben“
thätig? Wohl doch. Und dann: hatte er das Leben
eigentlich ſchon „genoſſen“? Oefter packte ihn —
oh! er erinnerte ſich deſſen! — ein wahrer Heiß-
hunger auf das gewiſſenhafte, feierliche Genießen
der bunteſten, tollſten, ſeltenſten, ſüßeſten Lebens-
reize. Allein dieſer Heißhunger war im Grunde doch
ſehr gegenſtandslos. Wiſſenſchaftlichen Ehrgeiz be-
ſaß Adam nicht. Zur Liebe hatte er nicht Geduld,
nicht Ausdauer mehr. Erkenntnißreſultate befriedig-
ten ihn nicht, da er wußte, daß es ihm doch nicht
gegeben war, dem myſtiſch-metaphyſiſchen Drange
ſeiner Seele ganz zu genügen. Ja! Unberechenbar
in ſeinen Stimmungen, in ſeinen Neigungen und
Launen; zerſplittert in ſeinen Kräften; unbeſtändig,
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/28>, abgerufen am 22.12.2024.
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