prüde gewesen, als wäre sie vielmehr von einem halb ehrlichen, halb sentimentalen Mitleid mit sich selber ergriffen worden. Das stimmte ihn weich, zärtlich, hingebend und verlangend -- und er trat zu dem Weibe, dem er einen Augenblick früher wiederum fast fremd gegenübergestanden hatte, ans Fenster -- ein dunkles Wollen und Müssen in der Brust. Adam trat dicht an Hedwig heran und flüsterte ihr leise zu, den Nachdruck der Innigkeit und Ergriffenheit in der Stimme: "Habe ich Dir wehgethan, Hedwig? Sei mir nicht böse --"
Hedwig hatte die linke Hand über die Augen gelegt. Den Kopf hielt sie gebeugt. Ein leises, verhaltenes Schluchzen ging jetzt von ihr aus. Adam athmete schwer auf.
Draußen lag die Nacht ... die letzte Mai- nacht ... ruhig, schwarz. Nur ein nervöses Er- zittern der Schwüle prickelte zuweilen durch die Luft.
Adam Mensch verspürte sich wieder einmal ganz im Zwange seiner Stimmung. Wie ein un- endliches Mitleid mit sich selber ergriff es auch ihn. Unklare, halbfertige Sinnlichkeitsaffekte lösten sich in ihm aus. Diese nächtige Schwüle bedrückte ihn. Dieses schluchzende Weib quälte ihn ... und be- glückte ihn doch zugleich unsäglich. Eine schicksals- mächtige, fanatische Nothwendigkeit bändigte ihn jetzt zu Hedwig hin. Aber nein! Er durfte sich nicht überwältigen lassen. Er dachte an Lydia, er dachte an Emmy. Ach! es ekelte ihn vor sich. Das war
prüde geweſen, als wäre ſie vielmehr von einem halb ehrlichen, halb ſentimentalen Mitleid mit ſich ſelber ergriffen worden. Das ſtimmte ihn weich, zärtlich, hingebend und verlangend — und er trat zu dem Weibe, dem er einen Augenblick früher wiederum faſt fremd gegenübergeſtanden hatte, ans Fenſter — ein dunkles Wollen und Müſſen in der Bruſt. Adam trat dicht an Hedwig heran und flüſterte ihr leiſe zu, den Nachdruck der Innigkeit und Ergriffenheit in der Stimme: „Habe ich Dir wehgethan, Hedwig? Sei mir nicht böſe —“
Hedwig hatte die linke Hand über die Augen gelegt. Den Kopf hielt ſie gebeugt. Ein leiſes, verhaltenes Schluchzen ging jetzt von ihr aus. Adam athmete ſchwer auf.
Draußen lag die Nacht ... die letzte Mai- nacht ... ruhig, ſchwarz. Nur ein nervöſes Er- zittern der Schwüle prickelte zuweilen durch die Luft.
Adam Menſch verſpürte ſich wieder einmal ganz im Zwange ſeiner Stimmung. Wie ein un- endliches Mitleid mit ſich ſelber ergriff es auch ihn. Unklare, halbfertige Sinnlichkeitsaffekte löſten ſich in ihm aus. Dieſe nächtige Schwüle bedrückte ihn. Dieſes ſchluchzende Weib quälte ihn ... und be- glückte ihn doch zugleich unſäglich. Eine ſchickſals- mächtige, fanatiſche Nothwendigkeit bändigte ihn jetzt zu Hedwig hin. Aber nein! Er durfte ſich nicht überwältigen laſſen. Er dachte an Lydia, er dachte an Emmy. Ach! es ekelte ihn vor ſich. Das war
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prüde geweſen, als wäre ſie vielmehr von einem
halb ehrlichen, halb ſentimentalen Mitleid mit ſich
ſelber ergriffen worden. Das ſtimmte ihn weich,
zärtlich, hingebend und verlangend — und er trat zu
dem Weibe, dem er einen Augenblick früher wiederum
faſt fremd gegenübergeſtanden hatte, ans Fenſter —
ein dunkles Wollen und Müſſen in der Bruſt. Adam
trat dicht an Hedwig heran und flüſterte ihr leiſe zu,
den Nachdruck der Innigkeit und Ergriffenheit in der
Stimme: „Habe ich Dir wehgethan, Hedwig? Sei
mir nicht böſe —“
Hedwig hatte die linke Hand über die Augen
gelegt. Den Kopf hielt ſie gebeugt. Ein leiſes,
verhaltenes Schluchzen ging jetzt von ihr aus. Adam
athmete ſchwer auf.
Draußen lag die Nacht ... die letzte Mai-
nacht ... ruhig, ſchwarz. Nur ein nervöſes Er-
zittern der Schwüle prickelte zuweilen durch die
Luft.
Adam Menſch verſpürte ſich wieder einmal ganz
im Zwange ſeiner Stimmung. Wie ein un-
endliches Mitleid mit ſich ſelber ergriff es auch ihn.
Unklare, halbfertige Sinnlichkeitsaffekte löſten ſich
in ihm aus. Dieſe nächtige Schwüle bedrückte ihn.
Dieſes ſchluchzende Weib quälte ihn ... und be-
glückte ihn doch zugleich unſäglich. Eine ſchickſals-
mächtige, fanatiſche Nothwendigkeit bändigte ihn jetzt
zu Hedwig hin. Aber nein! Er durfte ſich nicht
überwältigen laſſen. Er dachte an Lydia, er dachte
an Emmy. Ach! es ekelte ihn vor ſich. Das war
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/246>, abgerufen am 25.11.2024.
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