hinausgeht .. wo sein Wille waltet und wirkt, ohne jedoch eine klare Tendenz zu besitzen. So sind wir denn vorwiegend auch in der Arbeit Aesthetiker -- den ethischen Effekt bedingen ja so wie so die Gesetze, nach denen der sociale Zellenverband funktionirt! . Aber wir arbeiten eben .. wenn auch stets der Ge- fahr ausgesetzt, das uns eine schwere, dunkle Stunde der Verzweiflung .. des erneuten Durchschauens ... der gespanntesten Sammlung und klarsten Umsicht in alle Horizonte -- daß uns eine solche Stunde, sage ich, die Waffe zur letzten, realsten und .. reellsten Abfuhrthat in die Hand preßt .. die Waffe, die wir als Sclaven kleinlicher Umstände und Verhältnisse so oft schon bei Seite werfen mußten .. Es ist eben nicht nur sehr gut möglich -- es ist sogar beinahe selbstverständlich, daß eine Erkenntniß einmal so intensiv und überzeugend wirkt, daß unter ihrem heißen Athem auch die letzte Rücksicht und Bean- standung dahinschmilzt .. Dann ist's eben aus -- dann heißt es nur noch: "tirez le rideau! La farce est jouee!" -- wir empfehlen uns auf gut Rabe- lais'sch ... Aber vor der Hand ist ja dieser letzte Knalleffekt noch unvollbracht. Und wir müssen mit den Thatsachen rechnen .. so, wie sie liegen. Wir ,sättigen' uns durchaus nicht ,an jedem Daseins- momente' in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten, Herr Doctor. Wir können uns eigentlich gar nicht mehr begeistern. Wohl sind wir noch großer, starker Gefühle fähig .. eben weil wir noch eine Fülle ge- sammelter, großer, unverbrauchter Kräfte besitzen.
hinausgeht .. wo ſein Wille waltet und wirkt, ohne jedoch eine klare Tendenz zu beſitzen. So ſind wir denn vorwiegend auch in der Arbeit Aeſthetiker — den ethiſchen Effekt bedingen ja ſo wie ſo die Geſetze, nach denen der ſociale Zellenverband funktionirt! . Aber wir arbeiten eben .. wenn auch ſtets der Ge- fahr ausgeſetzt, das uns eine ſchwere, dunkle Stunde der Verzweiflung .. des erneuten Durchſchauens ... der geſpannteſten Sammlung und klarſten Umſicht in alle Horizonte — daß uns eine ſolche Stunde, ſage ich, die Waffe zur letzten, realſten und .. reellſten Abfuhrthat in die Hand preßt .. die Waffe, die wir als Sclaven kleinlicher Umſtände und Verhältniſſe ſo oft ſchon bei Seite werfen mußten .. Es iſt eben nicht nur ſehr gut möglich — es iſt ſogar beinahe ſelbſtverſtändlich, daß eine Erkenntniß einmal ſo intenſiv und überzeugend wirkt, daß unter ihrem heißen Athem auch die letzte Rückſicht und Bean- ſtandung dahinſchmilzt .. Dann iſt's eben aus — dann heißt es nur noch: „tirez le rideau! La farce est jouée!“ — wir empfehlen uns auf gut Rabe- lais'ſch ... Aber vor der Hand iſt ja dieſer letzte Knalleffekt noch unvollbracht. Und wir müſſen mit den Thatſachen rechnen .. ſo, wie ſie liegen. Wir ‚ſättigen‘ uns durchaus nicht ‚an jedem Daſeins- momente‘ in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten, Herr Doctor. Wir können uns eigentlich gar nicht mehr begeiſtern. Wohl ſind wir noch großer, ſtarker Gefühle fähig .. eben weil wir noch eine Fülle ge- ſammelter, großer, unverbrauchter Kräfte beſitzen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="219"/>
hinausgeht .. wo ſein Wille waltet und wirkt, ohne<lb/>
jedoch eine klare Tendenz zu beſitzen. So ſind wir<lb/>
denn vorwiegend auch in der Arbeit Aeſthetiker —<lb/>
den ethiſchen Effekt bedingen ja ſo wie ſo die Geſetze,<lb/>
nach denen der ſociale Zellenverband funktionirt! .<lb/>
Aber wir arbeiten eben .. wenn auch ſtets der Ge-<lb/>
fahr ausgeſetzt, das uns eine ſchwere, dunkle Stunde<lb/>
der Verzweiflung .. des erneuten Durchſchauens ...<lb/>
der geſpannteſten Sammlung und klarſten Umſicht<lb/>
in alle Horizonte — daß uns eine ſolche Stunde,<lb/>ſage ich, die Waffe zur letzten, realſten und .. reellſten<lb/>
Abfuhrthat in die Hand preßt .. die Waffe, die wir<lb/>
als Sclaven kleinlicher Umſtände und Verhältniſſe<lb/>ſo oft ſchon bei Seite werfen mußten .. Es iſt<lb/>
eben nicht nur ſehr gut möglich — es iſt ſogar<lb/>
beinahe ſelbſtverſtändlich, daß eine Erkenntniß einmal<lb/>ſo intenſiv und überzeugend wirkt, daß unter ihrem<lb/>
heißen Athem auch die letzte Rückſicht und Bean-<lb/>ſtandung dahinſchmilzt .. Dann iſt's eben aus —<lb/>
dann heißt es nur noch: „<hirendition="#aq">tirez le rideau! La farce<lb/>
est jouée!</hi>“— wir empfehlen uns auf gut Rabe-<lb/>
lais'ſch ... Aber vor der Hand iſt ja dieſer letzte<lb/>
Knalleffekt noch unvollbracht. Und wir müſſen mit<lb/>
den Thatſachen rechnen .. ſo, wie ſie liegen. Wir<lb/>‚ſättigen‘ uns durchaus nicht ‚an jedem Daſeins-<lb/>
momente‘ in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten,<lb/>
Herr Doctor. Wir können uns eigentlich gar nicht<lb/>
mehr begeiſtern. Wohl ſind wir noch großer, ſtarker<lb/>
Gefühle fähig .. eben weil wir noch eine Fülle ge-<lb/>ſammelter, großer, unverbrauchter Kräfte beſitzen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[219/0227]
hinausgeht .. wo ſein Wille waltet und wirkt, ohne
jedoch eine klare Tendenz zu beſitzen. So ſind wir
denn vorwiegend auch in der Arbeit Aeſthetiker —
den ethiſchen Effekt bedingen ja ſo wie ſo die Geſetze,
nach denen der ſociale Zellenverband funktionirt! .
Aber wir arbeiten eben .. wenn auch ſtets der Ge-
fahr ausgeſetzt, das uns eine ſchwere, dunkle Stunde
der Verzweiflung .. des erneuten Durchſchauens ...
der geſpannteſten Sammlung und klarſten Umſicht
in alle Horizonte — daß uns eine ſolche Stunde,
ſage ich, die Waffe zur letzten, realſten und .. reellſten
Abfuhrthat in die Hand preßt .. die Waffe, die wir
als Sclaven kleinlicher Umſtände und Verhältniſſe
ſo oft ſchon bei Seite werfen mußten .. Es iſt
eben nicht nur ſehr gut möglich — es iſt ſogar
beinahe ſelbſtverſtändlich, daß eine Erkenntniß einmal
ſo intenſiv und überzeugend wirkt, daß unter ihrem
heißen Athem auch die letzte Rückſicht und Bean-
ſtandung dahinſchmilzt .. Dann iſt's eben aus —
dann heißt es nur noch: „tirez le rideau! La farce
est jouée!“ — wir empfehlen uns auf gut Rabe-
lais'ſch ... Aber vor der Hand iſt ja dieſer letzte
Knalleffekt noch unvollbracht. Und wir müſſen mit
den Thatſachen rechnen .. ſo, wie ſie liegen. Wir
‚ſättigen‘ uns durchaus nicht ‚an jedem Daſeins-
momente‘ in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten,
Herr Doctor. Wir können uns eigentlich gar nicht
mehr begeiſtern. Wohl ſind wir noch großer, ſtarker
Gefühle fähig .. eben weil wir noch eine Fülle ge-
ſammelter, großer, unverbrauchter Kräfte beſitzen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/227>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.