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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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diesem Lazareth entfliehen? Sich draußen rein-
und freiathmen von den hier eingeschluckten Miasmen?
Es war sicher das Gescheiteste. Und doch gewann er
es nicht über sich, so hart abzubrechen ... so auffällig,
so indiscret zu zeigen, daß sich ihm der Eindruck
von Hedwigs stummer Augenbitte schon wieder stark
verwischt hatte.

Adam verspürte einen bezwingenden Appetit nach
einer guten Cigarre. Doch ... hier im Kranken-
zimmer wurde nicht geraucht. Er mußte sich den
Appetit schon verkneifen. Das ärgerte ihn ein
Wenig. Und nun knurrte er sich im Geiste schon
wieder an, daß ihn eine solche Bagatelle überhaupt
ärgern konnte. Allein er kam nicht über das pei-
nigende Gefühl des Mangels hinweg. Was küm-
merte ihn jetzt das Schicksal Hedwigs? Und der
Anblick dieses leidenden, zusammengedrückten Mannes
war ihm jetzt über Alles lästig.

Um die unbequeme Stimmungsscene zu wechseln,
wandte sich Adam eine Andeutung nach rechts und
streifte mit müder, zögernder Hand die grüne Gardine
vom Bücherregal zurück. Langsam drehte ihm
Doctor Irmer sein bleiches, weißes Gesicht zu.

Jäh ließ Adam die Gardine fahren. Er mußte
seinem Impulse folgen. Er konnte nicht widerstehen.
Er fühlte sich plötzlich auf's Tiefste durch die Ge-
duld beleidigt, mit der Irmer sein elendes Leben
trug, weitertrug, weiterschleppte. Nichts von Mitleid
mehr und Verständniß war in ihm. Ein kochender
Groll über dieses reizlose, werthlose Ertragen und

dieſem Lazareth entfliehen? Sich draußen rein-
und freiathmen von den hier eingeſchluckten Miasmen?
Es war ſicher das Geſcheiteſte. Und doch gewann er
es nicht über ſich, ſo hart abzubrechen ... ſo auffällig,
ſo indiscret zu zeigen, daß ſich ihm der Eindruck
von Hedwigs ſtummer Augenbitte ſchon wieder ſtark
verwiſcht hatte.

Adam verſpürte einen bezwingenden Appetit nach
einer guten Cigarre. Doch ... hier im Kranken-
zimmer wurde nicht geraucht. Er mußte ſich den
Appetit ſchon verkneifen. Das ärgerte ihn ein
Wenig. Und nun knurrte er ſich im Geiſte ſchon
wieder an, daß ihn eine ſolche Bagatelle überhaupt
ärgern konnte. Allein er kam nicht über das pei-
nigende Gefühl des Mangels hinweg. Was küm-
merte ihn jetzt das Schickſal Hedwigs? Und der
Anblick dieſes leidenden, zuſammengedrückten Mannes
war ihm jetzt über Alles läſtig.

Um die unbequeme Stimmungsſcene zu wechſeln,
wandte ſich Adam eine Andeutung nach rechts und
ſtreifte mit müder, zögernder Hand die grüne Gardine
vom Bücherregal zurück. Langſam drehte ihm
Doctor Irmer ſein bleiches, weißes Geſicht zu.

Jäh ließ Adam die Gardine fahren. Er mußte
ſeinem Impulſe folgen. Er konnte nicht widerſtehen.
Er fühlte ſich plötzlich auf's Tiefſte durch die Ge-
duld beleidigt, mit der Irmer ſein elendes Leben
trug, weitertrug, weiterſchleppte. Nichts von Mitleid
mehr und Verſtändniß war in ihm. Ein kochender
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[214/0222] dieſem Lazareth entfliehen? Sich draußen rein- und freiathmen von den hier eingeſchluckten Miasmen? Es war ſicher das Geſcheiteſte. Und doch gewann er es nicht über ſich, ſo hart abzubrechen ... ſo auffällig, ſo indiscret zu zeigen, daß ſich ihm der Eindruck von Hedwigs ſtummer Augenbitte ſchon wieder ſtark verwiſcht hatte. Adam verſpürte einen bezwingenden Appetit nach einer guten Cigarre. Doch ... hier im Kranken- zimmer wurde nicht geraucht. Er mußte ſich den Appetit ſchon verkneifen. Das ärgerte ihn ein Wenig. Und nun knurrte er ſich im Geiſte ſchon wieder an, daß ihn eine ſolche Bagatelle überhaupt ärgern konnte. Allein er kam nicht über das pei- nigende Gefühl des Mangels hinweg. Was küm- merte ihn jetzt das Schickſal Hedwigs? Und der Anblick dieſes leidenden, zuſammengedrückten Mannes war ihm jetzt über Alles läſtig. Um die unbequeme Stimmungsſcene zu wechſeln, wandte ſich Adam eine Andeutung nach rechts und ſtreifte mit müder, zögernder Hand die grüne Gardine vom Bücherregal zurück. Langſam drehte ihm Doctor Irmer ſein bleiches, weißes Geſicht zu. Jäh ließ Adam die Gardine fahren. Er mußte ſeinem Impulſe folgen. Er konnte nicht widerſtehen. Er fühlte ſich plötzlich auf's Tiefſte durch die Ge- duld beleidigt, mit der Irmer ſein elendes Leben trug, weitertrug, weiterſchleppte. Nichts von Mitleid mehr und Verſtändniß war in ihm. Ein kochender Groll über dieſes reizloſe, werthloſe Ertragen und

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/222>, abgerufen am 27.11.2024.