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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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besseren und größeren Stunden doch noch glaubte --
ließ er thatlos untergehen, was dem Untergange --
trotz alledem unabänderlich verfallen war ... Ja!
Er wollte ... was wollte er? ... er wollte wenigstens
sein "Gewissen" salviren. Er wollte sich sagen können,
daß er Alles gethan hätte, was er zu thun ver-
mocht habe. Er wollte der Selbstvorwürfe über-
hoben sein. Oder ... wenn er jetzt beschloß, in das
Schicksal Hedwigs einzugreifen -- bestimmte ihn
dazu sein Egoismus ... seine geschmeichelte Eitel-
keit ... die heiße Bitte, die in Hedwigs Blick ge-
legen ... das Versprechen, welches ihm dieser brust-
erschütternde Blick nicht minder gegeben? Es stieg
glühend auf in Adam ... er hätte das Weib, das
ihm bisher immer so spröde, so zurückhaltend be-
gegnet war ... und das sich jetzt in seiner Noth
und Verzweiflung ihm ergeben wollte ... gewiß! sich
ihm zu eigen geben wollte -- er hätte es an sich
reißen mögen -- und mit ihm zu Füßen des armen
Mannes stürzen: dem Sterbenden zu schwören, daß
sein Kind nicht verlassen wäre, daß er über sein Kind
liebend wachen werde in allen kommenden Tagen ...

Die Kuckucksuhr über dem Sopha vermeldete
glucksenden, mürrisch-verrosteten Tones die neunte
Stunde.

Hedwig erhob sich leise seufzend und wünschte
mit müder, klangloser Stimme "Gesegnete Mahl-
zeit!"

Adam war unschlüssig. Sollte er noch bleiben
oder sollte er lieber gehen? Diesem Gefängniß ...


beſſeren und größeren Stunden doch noch glaubte —
ließ er thatlos untergehen, was dem Untergange —
trotz alledem unabänderlich verfallen war ... Ja!
Er wollte ... was wollte er? ... er wollte wenigſtens
ſein „Gewiſſen“ ſalviren. Er wollte ſich ſagen können,
daß er Alles gethan hätte, was er zu thun ver-
mocht habe. Er wollte der Selbſtvorwürfe über-
hoben ſein. Oder ... wenn er jetzt beſchloß, in das
Schickſal Hedwigs einzugreifen — beſtimmte ihn
dazu ſein Egoismus ... ſeine geſchmeichelte Eitel-
keit ... die heiße Bitte, die in Hedwigs Blick ge-
legen ... das Verſprechen, welches ihm dieſer bruſt-
erſchütternde Blick nicht minder gegeben? Es ſtieg
glühend auf in Adam ... er hätte das Weib, das
ihm bisher immer ſo ſpröde, ſo zurückhaltend be-
gegnet war ... und das ſich jetzt in ſeiner Noth
und Verzweiflung ihm ergeben wollte ... gewiß! ſich
ihm zu eigen geben wollte — er hätte es an ſich
reißen mögen — und mit ihm zu Füßen des armen
Mannes ſtürzen: dem Sterbenden zu ſchwören, daß
ſein Kind nicht verlaſſen wäre, daß er über ſein Kind
liebend wachen werde in allen kommenden Tagen ...

Die Kuckucksuhr über dem Sopha vermeldete
gluckſenden, mürriſch-verroſteten Tones die neunte
Stunde.

Hedwig erhob ſich leiſe ſeufzend und wünſchte
mit müder, klangloſer Stimme „Geſegnete Mahl-
zeit!“

Adam war unſchlüſſig. Sollte er noch bleiben
oder ſollte er lieber gehen? Dieſem Gefängniß ...

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[213/0221] beſſeren und größeren Stunden doch noch glaubte — ließ er thatlos untergehen, was dem Untergange — trotz alledem unabänderlich verfallen war ... Ja! Er wollte ... was wollte er? ... er wollte wenigſtens ſein „Gewiſſen“ ſalviren. Er wollte ſich ſagen können, daß er Alles gethan hätte, was er zu thun ver- mocht habe. Er wollte der Selbſtvorwürfe über- hoben ſein. Oder ... wenn er jetzt beſchloß, in das Schickſal Hedwigs einzugreifen — beſtimmte ihn dazu ſein Egoismus ... ſeine geſchmeichelte Eitel- keit ... die heiße Bitte, die in Hedwigs Blick ge- legen ... das Verſprechen, welches ihm dieſer bruſt- erſchütternde Blick nicht minder gegeben? Es ſtieg glühend auf in Adam ... er hätte das Weib, das ihm bisher immer ſo ſpröde, ſo zurückhaltend be- gegnet war ... und das ſich jetzt in ſeiner Noth und Verzweiflung ihm ergeben wollte ... gewiß! ſich ihm zu eigen geben wollte — er hätte es an ſich reißen mögen — und mit ihm zu Füßen des armen Mannes ſtürzen: dem Sterbenden zu ſchwören, daß ſein Kind nicht verlaſſen wäre, daß er über ſein Kind liebend wachen werde in allen kommenden Tagen ... Die Kuckucksuhr über dem Sopha vermeldete gluckſenden, mürriſch-verroſteten Tones die neunte Stunde. Hedwig erhob ſich leiſe ſeufzend und wünſchte mit müder, klangloſer Stimme „Geſegnete Mahl- zeit!“ Adam war unſchlüſſig. Sollte er noch bleiben oder ſollte er lieber gehen? Dieſem Gefängniß ...

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/221>, abgerufen am 27.11.2024.