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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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seine Tochter mittellos .. aussichtlos .. zukunfts-
los zurücklassen. Und doch war es vielleicht das
Beste, wenn der Vater bald starb .. und Hedwig
bald in neue Verhältnisse, in eine neue Umgebung ein-
treten mußte. Hier verwelkte und verkümmerte sie
ganz .. an der Seite eines Sterbenden .. unter
dem steten Einflusse seiner Krankheit und seiner
weltabgewandten Schattenphilosophie. Aber wie
würde es dieser spröden, schweren Natur draußen
in der Welt ergehen .. unter den Menschen, denen
sie dienen sollte? Die Leute, die sichs gestatten
können, "dienstbare Geister" zu halten, verlangen
offene, empfängliche Charaktere ... Temperamente,
die gleichsam mit großen, blanken Fensterscheiben
ausgestattet sind, durch welche das volle Licht der
Sonne in breiten Massen hereinfallen kann ...
Adam sagte sich, daß Hedwig sehr wenig Glück und
Erfolg unter den Menschen finden würde. Sollte er
aber darum sein Schicksal mit dem dieses armen, hülf-
losen, verlassenen Weibes verknüpfen? Er, der selbst
schwer genug an seinem eigenen Leben trug? Daran
war doch nicht zu denken. Gesetzt selbst, daß er
seinen ästhetischen und metaphysischen Widerwillen
überwand -- daß er es für eine "ethische" Forderung
erkannte, der Verlassenen Stütze und Zuflucht zu
werden: schon aus materiellen Gründen war es
ihm unmöglich, diese Forderung zu erfüllen. Und
dann --: schließlich das Opfer eines moralischen --
Hirngespinnstes werden? Da wurde ja alle Natür-
lichkeit über den Haufen geworfen. Daß er Hedwig

ſeine Tochter mittellos .. ausſichtlos .. zukunfts-
los zurücklaſſen. Und doch war es vielleicht das
Beſte, wenn der Vater bald ſtarb .. und Hedwig
bald in neue Verhältniſſe, in eine neue Umgebung ein-
treten mußte. Hier verwelkte und verkümmerte ſie
ganz .. an der Seite eines Sterbenden .. unter
dem ſteten Einfluſſe ſeiner Krankheit und ſeiner
weltabgewandten Schattenphiloſophie. Aber wie
würde es dieſer ſpröden, ſchweren Natur draußen
in der Welt ergehen .. unter den Menſchen, denen
ſie dienen ſollte? Die Leute, die ſichs geſtatten
können, „dienſtbare Geiſter“ zu halten, verlangen
offene, empfängliche Charaktere ... Temperamente,
die gleichſam mit großen, blanken Fenſterſcheiben
ausgeſtattet ſind, durch welche das volle Licht der
Sonne in breiten Maſſen hereinfallen kann ...
Adam ſagte ſich, daß Hedwig ſehr wenig Glück und
Erfolg unter den Menſchen finden würde. Sollte er
aber darum ſein Schickſal mit dem dieſes armen, hülf-
loſen, verlaſſenen Weibes verknüpfen? Er, der ſelbſt
ſchwer genug an ſeinem eigenen Leben trug? Daran
war doch nicht zu denken. Geſetzt ſelbſt, daß er
ſeinen äſthetiſchen und metaphyſiſchen Widerwillen
überwand — daß er es für eine „ethiſche“ Forderung
erkannte, der Verlaſſenen Stütze und Zuflucht zu
werden: ſchon aus materiellen Gründen war es
ihm unmöglich, dieſe Forderung zu erfüllen. Und
dann —: ſchließlich das Opfer eines moraliſchen
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[210/0218] ſeine Tochter mittellos .. ausſichtlos .. zukunfts- los zurücklaſſen. Und doch war es vielleicht das Beſte, wenn der Vater bald ſtarb .. und Hedwig bald in neue Verhältniſſe, in eine neue Umgebung ein- treten mußte. Hier verwelkte und verkümmerte ſie ganz .. an der Seite eines Sterbenden .. unter dem ſteten Einfluſſe ſeiner Krankheit und ſeiner weltabgewandten Schattenphiloſophie. Aber wie würde es dieſer ſpröden, ſchweren Natur draußen in der Welt ergehen .. unter den Menſchen, denen ſie dienen ſollte? Die Leute, die ſichs geſtatten können, „dienſtbare Geiſter“ zu halten, verlangen offene, empfängliche Charaktere ... Temperamente, die gleichſam mit großen, blanken Fenſterſcheiben ausgeſtattet ſind, durch welche das volle Licht der Sonne in breiten Maſſen hereinfallen kann ... Adam ſagte ſich, daß Hedwig ſehr wenig Glück und Erfolg unter den Menſchen finden würde. Sollte er aber darum ſein Schickſal mit dem dieſes armen, hülf- loſen, verlaſſenen Weibes verknüpfen? Er, der ſelbſt ſchwer genug an ſeinem eigenen Leben trug? Daran war doch nicht zu denken. Geſetzt ſelbſt, daß er ſeinen äſthetiſchen und metaphyſiſchen Widerwillen überwand — daß er es für eine „ethiſche“ Forderung erkannte, der Verlaſſenen Stütze und Zuflucht zu werden: ſchon aus materiellen Gründen war es ihm unmöglich, dieſe Forderung zu erfüllen. Und dann —: ſchließlich das Opfer eines moraliſchen — Hirngeſpinnſtes werden? Da wurde ja alle Natür- lichkeit über den Haufen geworfen. Daß er Hedwig

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/218>, abgerufen am 28.11.2024.