krankhafter Blässe glänzenden, dick überperlten Stirn. Jetzt fühlte sie den unangenehm scharfen Blick Adams. Sie wurde unruhig .. in ihr Gesicht trat ein seltsamer Ausdruck, der zugleich Scheu, Aengst- lichkeit, Verlegenheit .. einen leisen Aerger über die Ungeschicklichkeit ihres Vaters .. und doch auch eine gewisse Freude -- aber worüber? -- verrieth.
"Was arbeiten Sie jetzt, Herr Doctor?" fragte Irmer nach einer kleinen Weile und sah mit müdem, erloschenem Blick zu seinem Nachbar hin.
"Ach Gott! Dies und Das! Es ist nicht der Mühe werth. Ich mache jetzt anthropologische Studien -- die sind werthvoller und .. nothwen- diger --" bemerkte Adam kurz.
Hedwig sah mit unsäglich wehmüthigem Blicke zu ihrem Vater hin.
Eine längere Pause entstand. Adam betrachtete mit sehr gemischten Empfindungen die beiden Menschen, die da vor ihm saßen. Er fühlte sich nicht wohl bei ihnen -- nein! Ihre Hülflosigkeit machte ihn nervös .. peinigte, beklemmte ihn. Und doch appellirten sie, gewiß ganz, ohne daß sie es wollten, an sein Mitleid. Sie erwählten ihn unwillkürlich zum Vertrauten ihrer Schmerzen .. und sie wandten sich, gewiß nicht minder unbewußt, an ihn um Hülfe .. um Linderung .. Rettung .. Nun fiel es Adam schwer aufs Herz .. nun that es ihm sehr weh, daß er nicht helfen konnte .. Das "Schicksal" mußte wieder einmal seinen üblichen Lauf nehmen. Eines Tages würde Irmer sterben und
Conradi, Adam Mensch. 14
krankhafter Bläſſe glänzenden, dick überperlten Stirn. Jetzt fühlte ſie den unangenehm ſcharfen Blick Adams. Sie wurde unruhig .. in ihr Geſicht trat ein ſeltſamer Ausdruck, der zugleich Scheu, Aengſt- lichkeit, Verlegenheit .. einen leiſen Aerger über die Ungeſchicklichkeit ihres Vaters .. und doch auch eine gewiſſe Freude — aber worüber? — verrieth.
„Was arbeiten Sie jetzt, Herr Doctor?“ fragte Irmer nach einer kleinen Weile und ſah mit müdem, erloſchenem Blick zu ſeinem Nachbar hin.
„Ach Gott! Dies und Das! Es iſt nicht der Mühe werth. Ich mache jetzt anthropologiſche Studien — die ſind werthvoller und .. nothwen- diger —“ bemerkte Adam kurz.
Hedwig ſah mit unſäglich wehmüthigem Blicke zu ihrem Vater hin.
Eine längere Pauſe entſtand. Adam betrachtete mit ſehr gemiſchten Empfindungen die beiden Menſchen, die da vor ihm ſaßen. Er fühlte ſich nicht wohl bei ihnen — nein! Ihre Hülfloſigkeit machte ihn nervös .. peinigte, beklemmte ihn. Und doch appellirten ſie, gewiß ganz, ohne daß ſie es wollten, an ſein Mitleid. Sie erwählten ihn unwillkürlich zum Vertrauten ihrer Schmerzen .. und ſie wandten ſich, gewiß nicht minder unbewußt, an ihn um Hülfe .. um Linderung .. Rettung .. Nun fiel es Adam ſchwer aufs Herz .. nun that es ihm ſehr weh, daß er nicht helfen konnte .. Das „Schickſal“ mußte wieder einmal ſeinen üblichen Lauf nehmen. Eines Tages würde Irmer ſterben und
Conradi, Adam Menſch. 14
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krankhafter Bläſſe glänzenden, dick überperlten Stirn.
Jetzt fühlte ſie den unangenehm ſcharfen Blick
Adams. Sie wurde unruhig .. in ihr Geſicht trat
ein ſeltſamer Ausdruck, der zugleich Scheu, Aengſt-
lichkeit, Verlegenheit .. einen leiſen Aerger über
die Ungeſchicklichkeit ihres Vaters .. und doch auch
eine gewiſſe Freude — aber worüber? — verrieth.
„Was arbeiten Sie jetzt, Herr Doctor?“ fragte
Irmer nach einer kleinen Weile und ſah mit müdem,
erloſchenem Blick zu ſeinem Nachbar hin.
„Ach Gott! Dies und Das! Es iſt nicht der
Mühe werth. Ich mache jetzt anthropologiſche
Studien — die ſind werthvoller und .. nothwen-
diger —“ bemerkte Adam kurz.
Hedwig ſah mit unſäglich wehmüthigem Blicke
zu ihrem Vater hin.
Eine längere Pauſe entſtand. Adam betrachtete
mit ſehr gemiſchten Empfindungen die beiden
Menſchen, die da vor ihm ſaßen. Er fühlte ſich
nicht wohl bei ihnen — nein! Ihre Hülfloſigkeit
machte ihn nervös .. peinigte, beklemmte ihn.
Und doch appellirten ſie, gewiß ganz, ohne daß ſie
es wollten, an ſein Mitleid. Sie erwählten ihn
unwillkürlich zum Vertrauten ihrer Schmerzen ..
und ſie wandten ſich, gewiß nicht minder unbewußt,
an ihn um Hülfe .. um Linderung .. Rettung ..
Nun fiel es Adam ſchwer aufs Herz .. nun that
es ihm ſehr weh, daß er nicht helfen konnte .. Das
„Schickſal“ mußte wieder einmal ſeinen üblichen Lauf
nehmen. Eines Tages würde Irmer ſterben und
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/217>, abgerufen am 28.11.2024.
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