Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

verbrachte Nächte hin. Die Pflichten der Wirthin
erfüllte sie mit nervöser Aufmerksamkeit. Adam
fühlte sich sehr peinlich berührt. Er sagte sich,
daß Hedwig unter der reizlosen, kargen Unfruchtbar-
keit, unter dem Druck und der Enge ihrer Lage
litt. Sie gab sich alle Mühe, es nicht merken zu
lassen .. besaß aber eine viel zu spröde und unge-
schmeidige Natur, um sich zwanglos hinter das
Pseudonym einer geraden, reinen, zugänglichen
Stimmung verstecken zu können.

Herr Doctor Irmer hustete viel ... einen
kurzen, trockenen, heiseren Stoßhusten. Er sah sehr
zusammengedrückt und entwaffnet aus .. sehr muth-
los und ängstlich. Oefter preßte er die langen,
mageren, wachsgelben Finger der rechten Hand
gespreizt gegen die Brust .. und athmete fast
stöhnend.

"Papa hat sich vorgestern erkältet .." erklärte
Hedwig mit einem kurzen, nicht ganz beziehungslosen
Seitenblick auf Adam. Der Herr Doctor verstand.
Das gnädige Fräulein hielt es also für überflüssig,
auf Grund und Gelegenheit dieser Erkältung näher
einzugehen. Hm! . Sie waren sich ja begegnet.
Adam mußte sich das Uebrige selbst sagen können.
Das that er denn auch. Zugleich ärgerte er sich
aber, daß es Hedwig augenscheinlich vermeiden
wollte, jene Begegnung selbst zu berühren. Sie war
so harmlos. Und doch war Adam nicht im Stande,
das gewiß nicht heikle, höchstens etwas pikante
und widerhakige Motiv zur Sprache zu bringen.

verbrachte Nächte hin. Die Pflichten der Wirthin
erfüllte ſie mit nervöſer Aufmerkſamkeit. Adam
fühlte ſich ſehr peinlich berührt. Er ſagte ſich,
daß Hedwig unter der reizloſen, kargen Unfruchtbar-
keit, unter dem Druck und der Enge ihrer Lage
litt. Sie gab ſich alle Mühe, es nicht merken zu
laſſen .. beſaß aber eine viel zu ſpröde und unge-
ſchmeidige Natur, um ſich zwanglos hinter das
Pſeudonym einer geraden, reinen, zugänglichen
Stimmung verſtecken zu können.

Herr Doctor Irmer huſtete viel ... einen
kurzen, trockenen, heiſeren Stoßhuſten. Er ſah ſehr
zuſammengedrückt und entwaffnet aus .. ſehr muth-
los und ängſtlich. Oefter preßte er die langen,
mageren, wachsgelben Finger der rechten Hand
geſpreizt gegen die Bruſt .. und athmete faſt
ſtöhnend.

„Papa hat ſich vorgeſtern erkältet ..“ erklärte
Hedwig mit einem kurzen, nicht ganz beziehungsloſen
Seitenblick auf Adam. Der Herr Doctor verſtand.
Das gnädige Fräulein hielt es alſo für überflüſſig,
auf Grund und Gelegenheit dieſer Erkältung näher
einzugehen. Hm! . Sie waren ſich ja begegnet.
Adam mußte ſich das Uebrige ſelbſt ſagen können.
Das that er denn auch. Zugleich ärgerte er ſich
aber, daß es Hedwig augenſcheinlich vermeiden
wollte, jene Begegnung ſelbſt zu berühren. Sie war
ſo harmlos. Und doch war Adam nicht im Stande,
das gewiß nicht heikle, höchſtens etwas pikante
und widerhakige Motiv zur Sprache zu bringen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0213" n="205"/>
verbrachte Nächte hin. Die Pflichten der Wirthin<lb/>
erfüllte &#x017F;ie mit nervö&#x017F;er Aufmerk&#x017F;amkeit. Adam<lb/>
fühlte &#x017F;ich &#x017F;ehr peinlich berührt. Er &#x017F;agte &#x017F;ich,<lb/>
daß Hedwig unter der reizlo&#x017F;en, kargen Unfruchtbar-<lb/>
keit, unter dem Druck und der Enge ihrer Lage<lb/>
litt. Sie gab &#x017F;ich alle Mühe, es nicht merken zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en .. be&#x017F;aß aber eine viel zu &#x017F;pröde und unge-<lb/>
&#x017F;chmeidige Natur, um &#x017F;ich zwanglos hinter das<lb/>
P&#x017F;eudonym einer geraden, reinen, <choice><sic>zugänglicheu</sic><corr>zugänglichen</corr></choice><lb/>
Stimmung ver&#x017F;tecken zu können.</p><lb/>
        <p>Herr Doctor Irmer hu&#x017F;tete viel ... einen<lb/>
kurzen, trockenen, hei&#x017F;eren Stoßhu&#x017F;ten. Er &#x017F;ah &#x017F;ehr<lb/>
zu&#x017F;ammengedrückt und entwaffnet aus .. &#x017F;ehr muth-<lb/>
los und äng&#x017F;tlich. Oefter preßte er die langen,<lb/>
mageren, wachsgelben Finger der rechten Hand<lb/>
ge&#x017F;preizt gegen die Bru&#x017F;t .. und athmete fa&#x017F;t<lb/>
&#x017F;töhnend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Papa hat &#x017F;ich vorge&#x017F;tern erkältet ..&#x201C; erklärte<lb/>
Hedwig mit einem kurzen, nicht ganz beziehungslo&#x017F;en<lb/>
Seitenblick auf Adam. Der Herr Doctor ver&#x017F;tand.<lb/>
Das gnädige Fräulein hielt es al&#x017F;o für überflü&#x017F;&#x017F;ig,<lb/>
auf Grund und Gelegenheit die&#x017F;er Erkältung näher<lb/>
einzugehen. Hm! . Sie waren &#x017F;ich ja begegnet.<lb/>
Adam mußte &#x017F;ich das Uebrige &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen können.<lb/>
Das that er denn auch. Zugleich ärgerte er &#x017F;ich<lb/>
aber, daß es Hedwig augen&#x017F;cheinlich vermeiden<lb/>
wollte, jene Begegnung &#x017F;elb&#x017F;t zu berühren. Sie war<lb/>
&#x017F;o harmlos. Und doch war Adam nicht im Stande,<lb/>
das gewiß nicht heikle, höch&#x017F;tens etwas pikante<lb/>
und widerhakige Motiv zur Sprache zu bringen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0213] verbrachte Nächte hin. Die Pflichten der Wirthin erfüllte ſie mit nervöſer Aufmerkſamkeit. Adam fühlte ſich ſehr peinlich berührt. Er ſagte ſich, daß Hedwig unter der reizloſen, kargen Unfruchtbar- keit, unter dem Druck und der Enge ihrer Lage litt. Sie gab ſich alle Mühe, es nicht merken zu laſſen .. beſaß aber eine viel zu ſpröde und unge- ſchmeidige Natur, um ſich zwanglos hinter das Pſeudonym einer geraden, reinen, zugänglichen Stimmung verſtecken zu können. Herr Doctor Irmer huſtete viel ... einen kurzen, trockenen, heiſeren Stoßhuſten. Er ſah ſehr zuſammengedrückt und entwaffnet aus .. ſehr muth- los und ängſtlich. Oefter preßte er die langen, mageren, wachsgelben Finger der rechten Hand geſpreizt gegen die Bruſt .. und athmete faſt ſtöhnend. „Papa hat ſich vorgeſtern erkältet ..“ erklärte Hedwig mit einem kurzen, nicht ganz beziehungsloſen Seitenblick auf Adam. Der Herr Doctor verſtand. Das gnädige Fräulein hielt es alſo für überflüſſig, auf Grund und Gelegenheit dieſer Erkältung näher einzugehen. Hm! . Sie waren ſich ja begegnet. Adam mußte ſich das Uebrige ſelbſt ſagen können. Das that er denn auch. Zugleich ärgerte er ſich aber, daß es Hedwig augenſcheinlich vermeiden wollte, jene Begegnung ſelbſt zu berühren. Sie war ſo harmlos. Und doch war Adam nicht im Stande, das gewiß nicht heikle, höchſtens etwas pikante und widerhakige Motiv zur Sprache zu bringen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/213
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/213>, abgerufen am 28.11.2024.