Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

seinem Bierglase zu greifen und ebenfalls einen
derben Schluck zu thun, welcher Aktus sich fast so
ausnahm, als käme der fremde, zurückhaltende Herr
Adam ein vorgekommenes ,Stück' pflichtschuldigst nach.
Adam mußte lächeln. ,Ich werde dir schon in
anderer Weise ein ,Stück' vor- oder nachkommen,
mein Lieber -- warte nur noch ein Weilchen --
bald ist meine Kammer voll Sonne! .. Wahrhaftig!
ich möchte dem göttlichen Paul Heyse eigentlich eine
Bierkarte schreiben!' Adam mußte sich ja doch
vorläufig noch mit seiner eigenen Wenigkeit unter-
halten.

Und wie er so behaglich dasaß, jetzt einen Schluck
Absynth zu sich nahm, jetzt an seiner Cigarette zog,
an seiner reizenden Nachbarin in aller Ehrbarkeit
herumschnüffelte und ihren Liebhaber mit mitleidig-
impertinenten Blicken spickte, fiel es ihm plötzlich
ein, daß ihm vorhin bei seinem Selbstgespräche zu
mitternächtigster Stunde Hedwig gar nicht in den
Sinn gekommen war. Das frappirte ihn und doch
wunderte es ihn eigentlich nicht. Was war ihm
Hedwig, wenn er vor Lydia auf den Knieen lag?
Und was war ihm Lydia, wenn er Hoffnung hatte,
mit seiner schönen Nachbarin hier eine süße, köst-
liche Nacht .. eine Nacht berauschenden Minnespiels,
genießen zu dürfen? Und was würde ihm dieses
Weib sein, wenn er morgen ein anderes fände, das
ihm noch größere, feinere, heftiger lockende Reize
entgegenbrächte --? Er suchte ja längst nicht mehr
im Weibe ein Weib .. ein besonderes, individuelles,

ſeinem Bierglaſe zu greifen und ebenfalls einen
derben Schluck zu thun, welcher Aktus ſich faſt ſo
ausnahm, als käme der fremde, zurückhaltende Herr
Adam ein vorgekommenes ‚Stück‘ pflichtſchuldigſt nach.
Adam mußte lächeln. ‚Ich werde dir ſchon in
anderer Weiſe ein ‚Stück‘ vor- oder nachkommen,
mein Lieber — warte nur noch ein Weilchen —
bald iſt meine Kammer voll Sonne! .. Wahrhaftig!
ich möchte dem göttlichen Paul Heyſe eigentlich eine
Bierkarte ſchreiben!‘ Adam mußte ſich ja doch
vorläufig noch mit ſeiner eigenen Wenigkeit unter-
halten.

Und wie er ſo behaglich daſaß, jetzt einen Schluck
Abſynth zu ſich nahm, jetzt an ſeiner Cigarette zog,
an ſeiner reizenden Nachbarin in aller Ehrbarkeit
herumſchnüffelte und ihren Liebhaber mit mitleidig-
impertinenten Blicken ſpickte, fiel es ihm plötzlich
ein, daß ihm vorhin bei ſeinem Selbſtgeſpräche zu
mitternächtigſter Stunde Hedwig gar nicht in den
Sinn gekommen war. Das frappirte ihn und doch
wunderte es ihn eigentlich nicht. Was war ihm
Hedwig, wenn er vor Lydia auf den Knieen lag?
Und was war ihm Lydia, wenn er Hoffnung hatte,
mit ſeiner ſchönen Nachbarin hier eine ſüße, köſt-
liche Nacht .. eine Nacht berauſchenden Minneſpiels,
genießen zu dürfen? Und was würde ihm dieſes
Weib ſein, wenn er morgen ein anderes fände, das
ihm noch größere, feinere, heftiger lockende Reize
entgegenbrächte —? Er ſuchte ja längſt nicht mehr
im Weibe ein Weib .. ein beſonderes, individuelles,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="169"/>
&#x017F;einem Biergla&#x017F;e zu greifen und ebenfalls einen<lb/>
derben Schluck zu thun, welcher Aktus &#x017F;ich fa&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
ausnahm, als käme der fremde, zurückhaltende Herr<lb/>
Adam ein vorgekommenes &#x201A;Stück&#x2018; pflicht&#x017F;chuldig&#x017F;t nach.<lb/>
Adam mußte lächeln. &#x201A;Ich werde dir &#x017F;chon in<lb/>
anderer Wei&#x017F;e ein &#x201A;Stück&#x2018; vor- oder nachkommen,<lb/>
mein Lieber &#x2014; warte nur noch ein Weilchen &#x2014;<lb/>
bald i&#x017F;t meine Kammer voll Sonne! .. Wahrhaftig!<lb/>
ich möchte dem göttlichen Paul Hey&#x017F;e eigentlich eine<lb/>
Bierkarte &#x017F;chreiben!&#x2018; Adam mußte &#x017F;ich ja doch<lb/>
vorläufig noch mit &#x017F;einer eigenen Wenigkeit unter-<lb/>
halten.</p><lb/>
        <p>Und wie er &#x017F;o behaglich da&#x017F;aß, jetzt einen Schluck<lb/>
Ab&#x017F;ynth zu &#x017F;ich nahm, jetzt an &#x017F;einer Cigarette zog,<lb/>
an &#x017F;einer reizenden Nachbarin in aller Ehrbarkeit<lb/>
herum&#x017F;chnüffelte und ihren Liebhaber mit mitleidig-<lb/>
impertinenten Blicken &#x017F;pickte, fiel es ihm plötzlich<lb/>
ein, daß ihm vorhin bei &#x017F;einem Selb&#x017F;tge&#x017F;präche zu<lb/>
mitternächtig&#x017F;ter Stunde Hedwig gar nicht in den<lb/>
Sinn gekommen war. Das frappirte ihn und doch<lb/>
wunderte es ihn eigentlich nicht. Was war ihm<lb/>
Hedwig, wenn er vor Lydia auf den Knieen lag?<lb/>
Und was war ihm Lydia, wenn er Hoffnung hatte,<lb/>
mit &#x017F;einer &#x017F;chönen Nachbarin hier eine &#x017F;üße, kö&#x017F;t-<lb/>
liche Nacht .. eine Nacht berau&#x017F;chenden Minne&#x017F;piels,<lb/>
genießen zu dürfen? Und was würde ihm die&#x017F;es<lb/>
Weib &#x017F;ein, wenn er morgen ein anderes fände, das<lb/>
ihm noch größere, feinere, heftiger lockende Reize<lb/>
entgegenbrächte &#x2014;? Er &#x017F;uchte ja läng&#x017F;t nicht mehr<lb/>
im Weibe <hi rendition="#g">ein</hi> Weib .. ein be&#x017F;onderes, individuelles,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0177] ſeinem Bierglaſe zu greifen und ebenfalls einen derben Schluck zu thun, welcher Aktus ſich faſt ſo ausnahm, als käme der fremde, zurückhaltende Herr Adam ein vorgekommenes ‚Stück‘ pflichtſchuldigſt nach. Adam mußte lächeln. ‚Ich werde dir ſchon in anderer Weiſe ein ‚Stück‘ vor- oder nachkommen, mein Lieber — warte nur noch ein Weilchen — bald iſt meine Kammer voll Sonne! .. Wahrhaftig! ich möchte dem göttlichen Paul Heyſe eigentlich eine Bierkarte ſchreiben!‘ Adam mußte ſich ja doch vorläufig noch mit ſeiner eigenen Wenigkeit unter- halten. Und wie er ſo behaglich daſaß, jetzt einen Schluck Abſynth zu ſich nahm, jetzt an ſeiner Cigarette zog, an ſeiner reizenden Nachbarin in aller Ehrbarkeit herumſchnüffelte und ihren Liebhaber mit mitleidig- impertinenten Blicken ſpickte, fiel es ihm plötzlich ein, daß ihm vorhin bei ſeinem Selbſtgeſpräche zu mitternächtigſter Stunde Hedwig gar nicht in den Sinn gekommen war. Das frappirte ihn und doch wunderte es ihn eigentlich nicht. Was war ihm Hedwig, wenn er vor Lydia auf den Knieen lag? Und was war ihm Lydia, wenn er Hoffnung hatte, mit ſeiner ſchönen Nachbarin hier eine ſüße, köſt- liche Nacht .. eine Nacht berauſchenden Minneſpiels, genießen zu dürfen? Und was würde ihm dieſes Weib ſein, wenn er morgen ein anderes fände, das ihm noch größere, feinere, heftiger lockende Reize entgegenbrächte —? Er ſuchte ja längſt nicht mehr im Weibe ein Weib .. ein beſonderes, individuelles,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/177
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/177>, abgerufen am 04.12.2024.