Ein Scheibchen Pökelrippe -- ja? Oder ein Wenig Dessert? Lassen Sie sich nicht nöthigen! Schlimm genug, daß man selbst Ihnen gegenüber die alten, abgestandenen Redensarten gebrauchen muß! Aber Sie sind gar nicht originell! Sie bilden sich gar nichts auf sich ein! Und -- was das Schlimmste ist -- Sie vergessen ganz, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach der Art des ersten besten Durchschnittsmenschen zu behandeln ..."
"Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar kein Recht, etwas Besonderes scheinen zu wollen, sintemalen ich gar nichts Besonderes bin ... Wenigstens momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Mensch ge- wesen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Interessen mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich- gültig ... Alles ist todt, verschüttet, ausgestorben in mir. Ein Druck liegt auf mir -- ich sage Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ... Nichts reißt mich aus dieser Verstumpfung heraus ... Ich glaube ... ich fürchte: meine beste Zeit ... die Zeit, wo ich geistig aktiv sein durfte ... wo ich für tausend Reize empfänglich war ... wo ich nach allen Seiten hin Anregung gab und Anregung empfing, ist vorüber ... Und ... und gewöhn- lich vermisse ich absolut Nichts ... das ist das Entsetzlichste. Nur manchmal, wie eben
Ein Scheibchen Pökelrippe — ja? Oder ein Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen! Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und — was das Schlimmſte iſt — Sie vergeſſen ganz, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu behandeln ...“
„Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen, ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge- weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich- gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben in mir. Ein Druck liegt auf mir — ich ſage Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ... Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ... Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach allen Seiten hin Anregung gab und Anregung empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn- lich vermiſſe ich abſolut Nichts ... das iſt das Entſetzlichſte. Nur manchmal, wie eben
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0143"n="135"/>
Ein Scheibchen Pökelrippe — ja? Oder ein<lb/>
Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen!<lb/>
Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber<lb/>
die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen<lb/>
muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie<lb/>
bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und — was<lb/>
das Schlimmſte iſt — Sie vergeſſen ganz, daß Sie<lb/>
mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach<lb/>
der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu<lb/>
behandeln ...“</p><lb/><p>„Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar<lb/>
kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen,<lb/>ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens<lb/>
momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht<lb/>
Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und<lb/>
Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge-<lb/>
weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich<lb/>
erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen<lb/>
mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich-<lb/>
gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben<lb/>
in mir. Ein Druck liegt auf mir — ich ſage<lb/>
Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ...<lb/>
Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ...<lb/>
Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die<lb/>
Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich<lb/>
für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach<lb/>
allen Seiten hin Anregung gab und Anregung<lb/>
empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn-<lb/>
lich <hirendition="#g">vermiſſe ich abſolut Nichts</hi> ... das<lb/>
iſt das Entſetzlichſte. Nur manchmal, wie eben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[135/0143]
Ein Scheibchen Pökelrippe — ja? Oder ein
Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen!
Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber
die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen
muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie
bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und — was
das Schlimmſte iſt — Sie vergeſſen ganz, daß Sie
mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach
der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu
behandeln ...“
„Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar
kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen,
ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens
momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht
Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und
Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge-
weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich
erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen
mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich-
gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben
in mir. Ein Druck liegt auf mir — ich ſage
Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ...
Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ...
Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die
Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich
für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach
allen Seiten hin Anregung gab und Anregung
empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn-
lich vermiſſe ich abſolut Nichts ... das
iſt das Entſetzlichſte. Nur manchmal, wie eben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/143>, abgerufen am 31.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.