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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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"Ganz zu verzichten -- das ist wohl aus
psychologischen Gründen unmöglich ... Einige Nabel-
schnüre dürfen wohl nicht reißen ..."

"Aber warum denn überhaupt verzichten, Herr
Doctor? Ich finde zeitweilig das Leben dämonisch
schön .. dämonisch berauschend ... ich glaube fast: sogar
auch in diesem Augenblicke .. Ja! Gewiß! Es kann
Einem jede Sekunde eine Dachziegel auf den Kopf
fallen .. und man läuft immer Gefahr, irgend einen
Fuß oder irgend ein Genick zu brechen .. Aber warum
soll man der menschlichen Natur immanenten
Leichtsinn -- und nur er exportirt ja das Oel,
welches die schaurig-groben Reibungen des Lebens
verringert -- "tragisch" nennen, wie so viele alte
und junge Unglückstanten thun? Leben wir doch drauf
los! Mag's doch kommen, wie's will! Eine geradezu
fanatische Lebenssehnsucht krampft sich manchmal in
meinem Herzen zusammen. Es giebt ja namenlos
viel Unglück und Elend auf der Welt ... ja! ...
ja!. ich weiß es recht gut .. Was die Armuth
leidet, die nackte und die versteckte, -- es ist un-
sagbar .. Der Mensch liebt das Vergleichungsverfahren.
Das ist sein Grundelend. Ich wohnte einmal bei
einer Familie, wo die Frau Tag ein, Tag aus, vom
frühen Morgen bis zum späten Abend, weiter Nichts
zu thun hatte, als Magd und Mutter zu spielen ..
Unsereiner kann die Enge, die Monotonie, die
Schmucklosigkeit, das grenzenlos Mechanisch-Mario-
nettenhafte einer solchen Existenz gar nicht fassen.
Und dabei diese Bedürfnißlosigkeit!. Es ist un-

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Ganz zu verzichten — das iſt wohl aus
pſychologiſchen Gründen unmöglich ... Einige Nabel-
ſchnüre dürfen wohl nicht reißen ...“

„Aber warum denn überhaupt verzichten, Herr
Doctor? Ich finde zeitweilig das Leben dämoniſch
ſchön .. dämoniſch berauſchend ... ich glaube faſt: ſogar
auch in dieſem Augenblicke .. Ja! Gewiß! Es kann
Einem jede Sekunde eine Dachziegel auf den Kopf
fallen .. und man läuft immer Gefahr, irgend einen
Fuß oder irgend ein Genick zu brechen .. Aber warum
ſoll man der menſchlichen Natur immanenten
Leichtſinn — und nur er exportirt ja das Oel,
welches die ſchaurig-groben Reibungen des Lebens
verringert — „tragiſch“ nennen, wie ſo viele alte
und junge Unglückstanten thun? Leben wir doch drauf
los! Mag's doch kommen, wie's will! Eine geradezu
fanatiſche Lebensſehnſucht krampft ſich manchmal in
meinem Herzen zuſammen. Es giebt ja namenlos
viel Unglück und Elend auf der Welt ... ja! ...
ja!. ich weiß es recht gut .. Was die Armuth
leidet, die nackte und die verſteckte, — es iſt un-
ſagbar .. Der Menſch liebt das Vergleichungsverfahren.
Das iſt ſein Grundelend. Ich wohnte einmal bei
einer Familie, wo die Frau Tag ein, Tag aus, vom
frühen Morgen bis zum ſpäten Abend, weiter Nichts
zu thun hatte, als Magd und Mutter zu ſpielen ..
Unſereiner kann die Enge, die Monotonie, die
Schmuckloſigkeit, das grenzenlos Mechaniſch-Mario-
nettenhafte einer ſolchen Exiſtenz gar nicht faſſen.
Und dabei dieſe Bedürfnißloſigkeit!. Es iſt un-

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[115/0123] „Ganz zu verzichten — das iſt wohl aus pſychologiſchen Gründen unmöglich ... Einige Nabel- ſchnüre dürfen wohl nicht reißen ...“ „Aber warum denn überhaupt verzichten, Herr Doctor? Ich finde zeitweilig das Leben dämoniſch ſchön .. dämoniſch berauſchend ... ich glaube faſt: ſogar auch in dieſem Augenblicke .. Ja! Gewiß! Es kann Einem jede Sekunde eine Dachziegel auf den Kopf fallen .. und man läuft immer Gefahr, irgend einen Fuß oder irgend ein Genick zu brechen .. Aber warum ſoll man der menſchlichen Natur immanenten Leichtſinn — und nur er exportirt ja das Oel, welches die ſchaurig-groben Reibungen des Lebens verringert — „tragiſch“ nennen, wie ſo viele alte und junge Unglückstanten thun? Leben wir doch drauf los! Mag's doch kommen, wie's will! Eine geradezu fanatiſche Lebensſehnſucht krampft ſich manchmal in meinem Herzen zuſammen. Es giebt ja namenlos viel Unglück und Elend auf der Welt ... ja! ... ja!. ich weiß es recht gut .. Was die Armuth leidet, die nackte und die verſteckte, — es iſt un- ſagbar .. Der Menſch liebt das Vergleichungsverfahren. Das iſt ſein Grundelend. Ich wohnte einmal bei einer Familie, wo die Frau Tag ein, Tag aus, vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend, weiter Nichts zu thun hatte, als Magd und Mutter zu ſpielen .. Unſereiner kann die Enge, die Monotonie, die Schmuckloſigkeit, das grenzenlos Mechaniſch-Mario- nettenhafte einer ſolchen Exiſtenz gar nicht faſſen. Und dabei dieſe Bedürfnißloſigkeit!. Es iſt un- 8*

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/123>, abgerufen am 22.12.2024.