Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Collin, Heinrich Joseph von: Coriolan. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite
Coriolan.
Weil solche Größe nie ein Mensch erreicht,
Und nie erreichen kann; -- du alter Träumer!
Sulpitius.
Die Götter strafen dich, du rauher Mann,
Daß du das Ideal der Menschengröße,
Den festen Glauben, der mich hielt und hob,
Im Busen mir erschüttern willst! O wehe
Der Menschheit, wenn ich träumte! -- doch, es war
Ein langer Traum. -- -- Ich stand in meiner Kraft,
Da rief ich schon vertrauend auf zum Himmel:
"Ihr Götter! zeiget mir den festen Mann,
"Der nur, was Recht ist, will!" Ich schaute rings
Umher mit Seelenangst, und schauend -- wurd'
Ich alt. Da führte deine Mutter dich,
Den Vaterlosen hin zu mir. Du warst
Ein Knabe, schön und hoffnungsvoll. Oft, wann
Ich dich auf meinen Knieen schaukelte,
So rief ich flehend alle Götter an:
"Was ich nicht ward, das lasset diesen werden!"
Als du dich hobst empor nun schon ein Mann,
Und auf dem Lebensmeer ein kluger Schiffer
Zum Leitstern dir die hehre Tugend nahmst,
Und all' die schroffen Klippen weise miedest,
An denen schwäch're Geister bald zerschellen:
Wie -- kleines Kleben an dem Augenblick,
Und niedrer Eigennutz, und bleiche Furcht,
Und bange Rücksicht, enge Eitelkeit --
Coriolan.
Weil ſolche Größe nie ein Menſch erreicht,
Und nie erreichen kann; — du alter Träumer!
Sulpitius.
Die Götter ſtrafen dich, du rauher Mann,
Daß du das Ideal der Menſchengröße,
Den feſten Glauben, der mich hielt und hob,
Im Buſen mir erſchüttern willſt! O wehe
Der Menſchheit, wenn ich träumte! — doch, es war
Ein langer Traum. — — Ich ſtand in meiner Kraft,
Da rief ich ſchon vertrauend auf zum Himmel:
»Ihr Götter! zeiget mir den feſten Mann,
»Der nur, was Recht iſt, will!« Ich ſchaute rings
Umher mit Seelenangſt, und ſchauend — wurd’
Ich alt. Da führte deine Mutter dich,
Den Vaterloſen hin zu mir. Du warſt
Ein Knabe, ſchön und hoffnungsvoll. Oft, wann
Ich dich auf meinen Knieen ſchaukelte,
So rief ich flehend alle Götter an:
»Was ich nicht ward, das laſſet dieſen werden!«
Als du dich hobſt empor nun ſchon ein Mann,
Und auf dem Lebensmeer ein kluger Schiffer
Zum Leitſtern dir die hehre Tugend nahmſt,
Und all’ die ſchroffen Klippen weiſe miedeſt,
An denen ſchwäch’re Geiſter bald zerſchellen:
Wie — kleines Kleben an dem Augenblick,
Und niedrer Eigennutz, und bleiche Furcht,
Und bange Rückſicht, enge Eitelkeit —
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0090" n="82"/>
          <sp who="#COR">
            <speaker><hi rendition="#g">Coriolan</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Weil &#x017F;olche Größe nie ein Men&#x017F;ch erreicht,<lb/>
Und nie erreichen kann; &#x2014; du alter Träumer!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#SUL">
            <speaker><hi rendition="#g">Sulpitius</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Die Götter &#x017F;trafen dich, du rauher Mann,<lb/>
Daß du das Ideal der Men&#x017F;chengröße,<lb/>
Den fe&#x017F;ten Glauben, der mich hielt und hob,<lb/>
Im Bu&#x017F;en mir er&#x017F;chüttern will&#x017F;t! O wehe<lb/>
Der Men&#x017F;chheit, wenn ich träumte! &#x2014; doch, es war<lb/>
Ein langer Traum. &#x2014; &#x2014; Ich &#x017F;tand in meiner Kraft,<lb/>
Da rief ich &#x017F;chon vertrauend auf zum Himmel:<lb/>
»Ihr Götter! zeiget mir den fe&#x017F;ten Mann,<lb/>
»Der nur, was Recht i&#x017F;t, will!« Ich &#x017F;chaute rings<lb/>
Umher mit Seelenang&#x017F;t, und &#x017F;chauend &#x2014; wurd&#x2019;<lb/>
Ich alt. Da führte deine Mutter dich,<lb/>
Den Vaterlo&#x017F;en hin zu mir. Du war&#x017F;t<lb/>
Ein Knabe, &#x017F;chön und hoffnungsvoll. Oft, wann<lb/>
Ich dich auf meinen Knieen &#x017F;chaukelte,<lb/>
So rief ich flehend alle Götter an:<lb/>
»Was ich nicht ward, das la&#x017F;&#x017F;et <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> werden!«<lb/>
Als du dich hob&#x017F;t empor nun &#x017F;chon ein Mann,<lb/>
Und auf dem Lebensmeer ein kluger Schiffer<lb/>
Zum Leit&#x017F;tern dir die hehre Tugend nahm&#x017F;t,<lb/>
Und all&#x2019; die &#x017F;chroffen Klippen wei&#x017F;e miede&#x017F;t,<lb/>
An denen &#x017F;chwäch&#x2019;re Gei&#x017F;ter bald zer&#x017F;chellen:<lb/>
Wie &#x2014; kleines Kleben an dem Augenblick,<lb/>
Und niedrer Eigennutz, und bleiche Furcht,<lb/>
Und bange Rück&#x017F;icht, enge Eitelkeit &#x2014;<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0090] Coriolan. Weil ſolche Größe nie ein Menſch erreicht, Und nie erreichen kann; — du alter Träumer! Sulpitius. Die Götter ſtrafen dich, du rauher Mann, Daß du das Ideal der Menſchengröße, Den feſten Glauben, der mich hielt und hob, Im Buſen mir erſchüttern willſt! O wehe Der Menſchheit, wenn ich träumte! — doch, es war Ein langer Traum. — — Ich ſtand in meiner Kraft, Da rief ich ſchon vertrauend auf zum Himmel: »Ihr Götter! zeiget mir den feſten Mann, »Der nur, was Recht iſt, will!« Ich ſchaute rings Umher mit Seelenangſt, und ſchauend — wurd’ Ich alt. Da führte deine Mutter dich, Den Vaterloſen hin zu mir. Du warſt Ein Knabe, ſchön und hoffnungsvoll. Oft, wann Ich dich auf meinen Knieen ſchaukelte, So rief ich flehend alle Götter an: »Was ich nicht ward, das laſſet dieſen werden!« Als du dich hobſt empor nun ſchon ein Mann, Und auf dem Lebensmeer ein kluger Schiffer Zum Leitſtern dir die hehre Tugend nahmſt, Und all’ die ſchroffen Klippen weiſe miedeſt, An denen ſchwäch’re Geiſter bald zerſchellen: Wie — kleines Kleben an dem Augenblick, Und niedrer Eigennutz, und bleiche Furcht, Und bange Rückſicht, enge Eitelkeit —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/collin_coriolan_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/collin_coriolan_1804/90
Zitationshilfe: Collin, Heinrich Joseph von: Coriolan. Berlin, 1804, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/collin_coriolan_1804/90>, abgerufen am 25.11.2024.