Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Was bedeutet die Frauenbewegung? Was ist ihr Gegen-
stand? Was ist ihr Gebiet? ihr Begriff?

Offenbar nicht alles, was dem Wortsinne nach mit dieser
Bezeichnung getroffen werden kann. Dem widerspricht die Klein-
heit des Umfanges der vorliegenden Schrift. Auch ist es ein
längst anerkannter Grundsatz, daß derartige Namen niemals das
ganze Gebiet dessen bedecken, was sich irgend Jemand bei ihnen
zu denken vermag; daß vielmehr der Sprachgebrauch, ins-
besondere bei Worten des öffentlichen Lebens der eben diesem
gewohnte Gebrauch, über die Bedeutung des Wortes entscheidet.
Nicht was irgend Jemand geneigt ist, aus den Buchstaben des
Wortes "Socialismus" herauszupressen, kann über den Jnhalt
dieses Wortes entscheiden - oder der Streit darüber würde ins
Endlose verschleppt, unterdessen aber eine große Verwirrung an-
gerichtet werden; sondern was in der thatsächlichen socialen
Bewegung und den sie erklärenden Gedanken der Wissenschaft
darunter verstanden worden ist, das bildet die Grundlage für
den Begriff, den man damit verbindet.

Ja noch mehr. Die Verbreitung oder das Alter eines
solchen Wortes, Eigenschaften, denen man zutrauen sollte, daß
sie seinen Sinn befestigen, haben öfters das Gegentheil zur
Folge. Die Worte "Demokratie" und "Republik" zeichnen sich
vor so vielen anderen in dem heutigen politischen Wortschatze
dadurch aus, daß sie echte Kinder des antiken Staatslebens sind.

1*

Was bedeutet die Frauenbewegung? Was ist ihr Gegen-
stand? Was ist ihr Gebiet? ihr Begriff?

Offenbar nicht alles, was dem Wortsinne nach mit dieser
Bezeichnung getroffen werden kann. Dem widerspricht die Klein-
heit des Umfanges der vorliegenden Schrift. Auch ist es ein
längst anerkannter Grundsatz, daß derartige Namen niemals das
ganze Gebiet dessen bedecken, was sich irgend Jemand bei ihnen
zu denken vermag; daß vielmehr der Sprachgebrauch, ins-
besondere bei Worten des öffentlichen Lebens der eben diesem
gewohnte Gebrauch, über die Bedeutung des Wortes entscheidet.
Nicht was irgend Jemand geneigt ist, aus den Buchstaben des
Wortes „Socialismus“ herauszupressen, kann über den Jnhalt
dieses Wortes entscheiden – oder der Streit darüber würde ins
Endlose verschleppt, unterdessen aber eine große Verwirrung an-
gerichtet werden; sondern was in der thatsächlichen socialen
Bewegung und den sie erklärenden Gedanken der Wissenschaft
darunter verstanden worden ist, das bildet die Grundlage für
den Begriff, den man damit verbindet.

Ja noch mehr. Die Verbreitung oder das Alter eines
solchen Wortes, Eigenschaften, denen man zutrauen sollte, daß
sie seinen Sinn befestigen, haben öfters das Gegentheil zur
Folge. Die Worte „Demokratie“ und „Republik“ zeichnen sich
vor so vielen anderen in dem heutigen politischen Wortschatze
dadurch aus, daß sie echte Kinder des antiken Staatslebens sind.

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0019" n="[3]"/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>as bedeutet die Frauenbewegung? Was ist ihr Gegen-<lb/>
stand? Was ist ihr Gebiet? ihr Begriff?</p><lb/>
        <p>Offenbar nicht alles, was dem Wortsinne nach mit dieser<lb/>
Bezeichnung getroffen werden kann. Dem widerspricht die Klein-<lb/>
heit des Umfanges der vorliegenden Schrift. Auch ist es ein<lb/>
längst anerkannter Grundsatz, daß derartige Namen niemals das<lb/>
ganze Gebiet dessen bedecken, was sich irgend Jemand bei ihnen<lb/>
zu denken vermag; daß vielmehr der Sprachgebrauch, ins-<lb/>
besondere bei Worten des öffentlichen Lebens der eben diesem<lb/>
gewohnte Gebrauch, über die Bedeutung des Wortes entscheidet.<lb/>
Nicht was irgend Jemand geneigt ist, aus den Buchstaben des<lb/>
Wortes &#x201E;Socialismus&#x201C; herauszupressen, kann über den Jnhalt<lb/>
dieses Wortes entscheiden &#x2013; oder der Streit darüber würde ins<lb/>
Endlose verschleppt, unterdessen aber eine große Verwirrung an-<lb/>
gerichtet werden; sondern was in der thatsächlichen socialen<lb/>
Bewegung und den sie erklärenden Gedanken der Wissenschaft<lb/>
darunter verstanden worden ist, das bildet die Grundlage für<lb/>
den Begriff, den man damit verbindet.</p><lb/>
        <p>Ja noch mehr. Die Verbreitung oder das Alter eines<lb/>
solchen Wortes, Eigenschaften, denen man zutrauen sollte, daß<lb/>
sie seinen Sinn befestigen, haben öfters das Gegentheil zur<lb/>
Folge. Die Worte &#x201E;Demokratie&#x201C; und &#x201E;Republik&#x201C; zeichnen sich<lb/>
vor so vielen anderen in dem heutigen politischen Wortschatze<lb/>
dadurch aus, daß sie echte Kinder des antiken Staatslebens sind.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0019] Was bedeutet die Frauenbewegung? Was ist ihr Gegen- stand? Was ist ihr Gebiet? ihr Begriff? Offenbar nicht alles, was dem Wortsinne nach mit dieser Bezeichnung getroffen werden kann. Dem widerspricht die Klein- heit des Umfanges der vorliegenden Schrift. Auch ist es ein längst anerkannter Grundsatz, daß derartige Namen niemals das ganze Gebiet dessen bedecken, was sich irgend Jemand bei ihnen zu denken vermag; daß vielmehr der Sprachgebrauch, ins- besondere bei Worten des öffentlichen Lebens der eben diesem gewohnte Gebrauch, über die Bedeutung des Wortes entscheidet. Nicht was irgend Jemand geneigt ist, aus den Buchstaben des Wortes „Socialismus“ herauszupressen, kann über den Jnhalt dieses Wortes entscheiden – oder der Streit darüber würde ins Endlose verschleppt, unterdessen aber eine große Verwirrung an- gerichtet werden; sondern was in der thatsächlichen socialen Bewegung und den sie erklärenden Gedanken der Wissenschaft darunter verstanden worden ist, das bildet die Grundlage für den Begriff, den man damit verbindet. Ja noch mehr. Die Verbreitung oder das Alter eines solchen Wortes, Eigenschaften, denen man zutrauen sollte, daß sie seinen Sinn befestigen, haben öfters das Gegentheil zur Folge. Die Worte „Demokratie“ und „Republik“ zeichnen sich vor so vielen anderen in dem heutigen politischen Wortschatze dadurch aus, daß sie echte Kinder des antiken Staatslebens sind. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/19
Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/19>, abgerufen am 23.11.2024.