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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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stand. Es kommt nicht darauf an, ob im Allgemeinen die
Leistungsfähigkeit weiblicher Aerzte dieselbe sei, wie diejenige
der männlichen Aerzte. Das, was von den weiblichen Aerzten
verlangt wird, ist etwas Eigenthümliches, wofür das weibliche
Geschlecht ebenso sehr den Vorzug besitzt, wie für die Operatio-
nen der Chirurgie die starke Hand des Mannes. Dieses ist
der Bedarf an weiblichen Aerzten, den die weiblichen Patienten
haben - die weiblichen Patienten, wie sie der Mehrheit nach
einmal sind.*) Der Arzt schilt darüber und verlangt, daß sie
nicht so sein sollten: er erzählt uns, daß es damit allmählich
besser werde; mit Genugthuung verweist er auf die Klinik, in
welcher es sich von selbst versteht, daß die hier aufgenommene
Kranke jede Untersuchung mit sich vornehmen läßt, die ärzt-
licherseits zur Aufklärung ihres Krankheitszustandes für noth-
wendig erachtet wird. Jndessen, bis es dahin kommt, bis die
Hindernisse der Untersuchung gefallen sind, bis die Patientin
im Machtbereiche des Krankenhauses sich befindet, vergeht oft
eine lange Zeit, und oft ist es dann zu spät, oder es ist gerade

*) Ein Beispiel statt vieler anderen, welches der Göttinger, jetzt
Berliner Chirurg Fr. König erzählt (Zeitschrift für sociale Medicin,
1895): "Die Tochter litt ... an heftigen Schmerzen einer Hand,
wegen deren sie ihren Hausarzt und verschiedene Autoritäten vergebens
um Rath gefragt hatte. Mein Freund, der Familie durch einen Zufall
bekannt geworden, um Rath gefragt, erklärt, ohne Untersuchung des
ganzen Armes mit Entblößung der Brust nichts rathen zu können.
Das hat, so wird von der Mutter ihm entgegnet, selbst der Pro-
fessor X. nicht verlangt, und dem Professor Y., der es verlangte, haben
wir es abgeschlagen, und nun wollen Sie, ein so junger Mann,
darauf bestehen? Aber er bestand darauf. Zweimal abgewiesen,
wurde ihm nach Wochen die Untersuchung gewährt. Er fand in der
Achselhöhle eine Geschwulst als Ursache der Armschmerzen, und eine
gar nicht schwierige Operation beseitigte dieselben."

stand. Es kommt nicht darauf an, ob im Allgemeinen die
Leistungsfähigkeit weiblicher Aerzte dieselbe sei, wie diejenige
der männlichen Aerzte. Das, was von den weiblichen Aerzten
verlangt wird, ist etwas Eigenthümliches, wofür das weibliche
Geschlecht ebenso sehr den Vorzug besitzt, wie für die Operatio-
nen der Chirurgie die starke Hand des Mannes. Dieses ist
der Bedarf an weiblichen Aerzten, den die weiblichen Patienten
haben – die weiblichen Patienten, wie sie der Mehrheit nach
einmal sind.*) Der Arzt schilt darüber und verlangt, daß sie
nicht so sein sollten: er erzählt uns, daß es damit allmählich
besser werde; mit Genugthuung verweist er auf die Klinik, in
welcher es sich von selbst versteht, daß die hier aufgenommene
Kranke jede Untersuchung mit sich vornehmen läßt, die ärzt-
licherseits zur Aufklärung ihres Krankheitszustandes für noth-
wendig erachtet wird. Jndessen, bis es dahin kommt, bis die
Hindernisse der Untersuchung gefallen sind, bis die Patientin
im Machtbereiche des Krankenhauses sich befindet, vergeht oft
eine lange Zeit, und oft ist es dann zu spät, oder es ist gerade

*) Ein Beispiel statt vieler anderen, welches der Göttinger, jetzt
Berliner Chirurg Fr. König erzählt (Zeitschrift für sociale Medicin,
1895): „Die Tochter litt … an heftigen Schmerzen einer Hand,
wegen deren sie ihren Hausarzt und verschiedene Autoritäten vergebens
um Rath gefragt hatte. Mein Freund, der Familie durch einen Zufall
bekannt geworden, um Rath gefragt, erklärt, ohne Untersuchung des
ganzen Armes mit Entblößung der Brust nichts rathen zu können.
Das hat, so wird von der Mutter ihm entgegnet, selbst der Pro-
fessor X. nicht verlangt, und dem Professor Y., der es verlangte, haben
wir es abgeschlagen, und nun wollen Sie, ein so junger Mann,
darauf bestehen? Aber er bestand darauf. Zweimal abgewiesen,
wurde ihm nach Wochen die Untersuchung gewährt. Er fand in der
Achselhöhle eine Geschwulst als Ursache der Armschmerzen, und eine
gar nicht schwierige Operation beseitigte dieselben.“
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[154/0170] stand. Es kommt nicht darauf an, ob im Allgemeinen die Leistungsfähigkeit weiblicher Aerzte dieselbe sei, wie diejenige der männlichen Aerzte. Das, was von den weiblichen Aerzten verlangt wird, ist etwas Eigenthümliches, wofür das weibliche Geschlecht ebenso sehr den Vorzug besitzt, wie für die Operatio- nen der Chirurgie die starke Hand des Mannes. Dieses ist der Bedarf an weiblichen Aerzten, den die weiblichen Patienten haben – die weiblichen Patienten, wie sie der Mehrheit nach einmal sind. *) Der Arzt schilt darüber und verlangt, daß sie nicht so sein sollten: er erzählt uns, daß es damit allmählich besser werde; mit Genugthuung verweist er auf die Klinik, in welcher es sich von selbst versteht, daß die hier aufgenommene Kranke jede Untersuchung mit sich vornehmen läßt, die ärzt- licherseits zur Aufklärung ihres Krankheitszustandes für noth- wendig erachtet wird. Jndessen, bis es dahin kommt, bis die Hindernisse der Untersuchung gefallen sind, bis die Patientin im Machtbereiche des Krankenhauses sich befindet, vergeht oft eine lange Zeit, und oft ist es dann zu spät, oder es ist gerade *) Ein Beispiel statt vieler anderen, welches der Göttinger, jetzt Berliner Chirurg Fr. König erzählt (Zeitschrift für sociale Medicin, 1895): „Die Tochter litt … an heftigen Schmerzen einer Hand, wegen deren sie ihren Hausarzt und verschiedene Autoritäten vergebens um Rath gefragt hatte. Mein Freund, der Familie durch einen Zufall bekannt geworden, um Rath gefragt, erklärt, ohne Untersuchung des ganzen Armes mit Entblößung der Brust nichts rathen zu können. Das hat, so wird von der Mutter ihm entgegnet, selbst der Pro- fessor X. nicht verlangt, und dem Professor Y., der es verlangte, haben wir es abgeschlagen, und nun wollen Sie, ein so junger Mann, darauf bestehen? Aber er bestand darauf. Zweimal abgewiesen, wurde ihm nach Wochen die Untersuchung gewährt. Er fand in der Achselhöhle eine Geschwulst als Ursache der Armschmerzen, und eine gar nicht schwierige Operation beseitigte dieselben.“

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/170>, abgerufen am 25.11.2024.