Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen" u. s. w. Veit Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die "große und unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts getragen wird".
Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge- worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben sich verbreitet hat, - das ist der Grund, wenn man ihnen nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.
II.
Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent- faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.
Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen, hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den
Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen“ u. s. w. Veit Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die „große und unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts getragen wird“.
Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge- worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben sich verbreitet hat, – das ist der Grund, wenn man ihnen nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.
II.
Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent- faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.
Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen, hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0100"n="84"/>
Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen“ u. s. w. Veit<lb/>
Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die „große und<lb/>
unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die<lb/>
Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts<lb/>
getragen wird“.</p><lb/><p>Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter<lb/>
mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so<lb/>
vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge-<lb/>
worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben<lb/>
sich verbreitet hat, – das ist der Grund, wenn man ihnen<lb/>
nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte<lb/>
selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.</p><lb/></div><divn="3"><head><hirendition="#aq">II</hi>.</head><lb/><p>Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten<lb/>
des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der<lb/>
natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem<lb/>
Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der<lb/>
Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche<lb/>
Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent-<lb/>
faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher<lb/>
gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute<lb/>
schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.</p><lb/><p>Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen,<lb/>
hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar<lb/>
mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[84/0100]
Töchter in der dickesten Unwissenheit aufwachsen“ u. s. w. Veit
Ludwig von Seckendorff klagt seinerseits über die „große und
unverantwortliche Nachlässigkeit, daß so wenig Sorge für die
Unterweisung und gute Erziehung des weiblichen Geschlechts
getragen wird“.
Wenn dem aber so ist, dann befindet sich unser Zeitalter
mit dieser Reformfrage in einer ähnlichen Lage wie mit so
vielen anderen. Nicht sowohl, daß die Mißstände größer ge-
worden sind, sondern daß eine stärkere Empfindung für dieselben
sich verbreitet hat, – das ist der Grund, wenn man ihnen
nicht mehr aus dem Wege gehen kann. Ja, die Fortschritte
selber sind es, welche nach größeren Fortschritten verlangen.
II.
Die ganze Frage nach Begabung, Beruf, Arbeitsgebieten
des weiblichen Geschlechts ruht ebenso unzweifelhaft auf der
natürlichen Differenz der beiden Geschlechter, wie die aus diesem
Grunde zu ziehenden Folgerungen für die Beantwortung der
Frage zweifelhaft sind. Denn es ist eben zu untersuchen, welche
Tragweite jene natürliche Differenz in der historischen Ent-
faltung der beiden Geschlechter habe, welcher Art dieselbe bisher
gewesen sei, wie sie in der Zukunft, wie sie für die heute
schwebenden Reformfragen beschaffen sein solle.
Ueber die Schwierigkeiten dieser Frage hinweg zu kommen,
hilft wenig ein Lehrsatz, den man neuerdings öfters und zwar
mit dem Pathos besonderer Wissenschaftlichkeit wiederholt, den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2021-02-18T15:54:56Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2021-02-18T15:54:56Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: gekennzeichnet;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/100>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.