Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_535.001 p2c_535.004 p2c_535.001 p2c_535.004 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0059" n="535"/><lb n="p2c_535.001"/> darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten <lb n="p2c_535.002"/> darf es unter einer Modification erscheinen, welche <lb n="p2c_535.003"/> das höhere Schöne stöhrte.</p> <p><lb n="p2c_535.004"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Da die Stimmung zum höhern Schönen <lb n="p2c_535.005"/> eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen <lb n="p2c_535.006"/> mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken <lb n="p2c_535.007"/> gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den <hi rendition="#g">wesentlichen</hi> <lb n="p2c_535.008"/> Jnhalt der <hi rendition="#g">Ode</hi> in Schilderung der <hi rendition="#g">Leidenschaft</hi> <lb n="p2c_535.009"/> gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die <lb n="p2c_535.010"/> dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht, <lb n="p2c_535.011"/> sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie <lb n="p2c_535.012"/> ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths <lb n="p2c_535.013"/> im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften <lb n="p2c_535.014"/> kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die <lb n="p2c_535.015"/> eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als <lb n="p2c_535.016"/> für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft <foreign xml:lang="grc">εἰδυλλιον</foreign>, <lb n="p2c_535.017"/> ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in <lb n="p2c_535.018"/> der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt. <lb n="p2c_535.019"/> Auch ist der Odendichter oft nur in einer <hi rendition="#g">bewundernden</hi> <lb n="p2c_535.020"/> Stimmung, nicht in einer <hi rendition="#g">begehrenden.</hi> ─ Horaz <lb n="p2c_535.021"/> scheint in seiner <hi rendition="#aq">Arte poetica</hi> der Ode eine bestimmte Gattung <lb n="p2c_535.022"/> von Gegenständen anweisen zu wollen. <hi rendition="#aq">Musa dedit <lb n="p2c_535.023"/> <hi rendition="#g">fidibus</hi> Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem, <lb n="p2c_535.024"/> et equum certamine primum et iuvenum <lb n="p2c_535.025"/> curas et libera vina referre</hi>. Er scheint hier vorzüglich <lb n="p2c_535.026"/> den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken <lb n="p2c_535.027"/> gehabt zu haben. Allein man muß die <hi rendition="#g">Veranlassung</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [535/0059]
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darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten p2c_535.002
darf es unter einer Modification erscheinen, welche p2c_535.003
das höhere Schöne stöhrte.
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Anmerk. Da die Stimmung zum höhern Schönen p2c_535.005
eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen p2c_535.006
mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken p2c_535.007
gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den wesentlichen p2c_535.008
Jnhalt der Ode in Schilderung der Leidenschaft p2c_535.009
gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die p2c_535.010
dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht, p2c_535.011
sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie p2c_535.012
ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths p2c_535.013
im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften p2c_535.014
kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die p2c_535.015
eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als p2c_535.016
für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft εἰδυλλιον, p2c_535.017
ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in p2c_535.018
der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt. p2c_535.019
Auch ist der Odendichter oft nur in einer bewundernden p2c_535.020
Stimmung, nicht in einer begehrenden. ─ Horaz p2c_535.021
scheint in seiner Arte poetica der Ode eine bestimmte Gattung p2c_535.022
von Gegenständen anweisen zu wollen. Musa dedit p2c_535.023
fidibus Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem, p2c_535.024
et equum certamine primum et iuvenum p2c_535.025
curas et libera vina referre. Er scheint hier vorzüglich p2c_535.026
den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken p2c_535.027
gehabt zu haben. Allein man muß die Veranlassung
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