p2c_507.001 sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der p2c_507.002 reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung p2c_507.003 in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.
p2c_507.004 Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn p2c_507.005 man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament p2c_507.006 Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese p2c_507.007 Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen p2c_507.008 Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. p2c_507.009 Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, p2c_507.010 um nur die geringste Anwendung davon auf das neue p2c_507.011 Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration,p2c_507.012 welche die Bibel begründet. Man meynte, nur p2c_507.013 ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache p2c_507.014 das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung p2c_507.015 des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, p2c_507.016 daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen p2c_507.017 Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes p2c_507.018 poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die p2c_507.019 religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man p2c_507.020 dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche p2c_507.021 Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, p2c_507.022 philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler p2c_507.023 unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen p2c_507.024 endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers p2c_507.025 Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums p2c_507.026 die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen p2c_507.027 hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen,
p2c_507.001 sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der p2c_507.002 reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung p2c_507.003 in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.
p2c_507.004 Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn p2c_507.005 man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament p2c_507.006 Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese p2c_507.007 Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen p2c_507.008 Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre. p2c_507.009 Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung, p2c_507.010 um nur die geringste Anwendung davon auf das neue p2c_507.011 Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration,p2c_507.012 welche die Bibel begründet. Man meynte, nur p2c_507.013 ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache p2c_507.014 das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung p2c_507.015 des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein, p2c_507.016 daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen p2c_507.017 Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes p2c_507.018 poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die p2c_507.019 religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man p2c_507.020 dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche p2c_507.021 Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch, p2c_507.022 philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler p2c_507.023 unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen p2c_507.024 endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers p2c_507.025 Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums p2c_507.026 die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen p2c_507.027 hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen,
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 507. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/31>, abgerufen am 16.02.2025.
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