Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_785.001 p2c_785.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0309" n="785"/><lb n="p2c_785.001"/> und individuellex Neigung lieben, wenn alle Bande der <lb n="p2c_785.002"/> Verwandschaft bey den Alten mehr für zufällig, als für <lb n="p2c_785.003"/> nothwendig gehalten wurden, so fühlt sich dagegen ein Olint <lb n="p2c_785.004"/> für Sophronie, ein Semida für Cidli geschaffen, so dehnt <lb n="p2c_785.005"/> der neugeborne Mensch alle Bande der Geschlechter in eine <lb n="p2c_785.006"/> Ewigkeit aus. Dies giebt den poetischen Gefühlen eine <lb n="p2c_785.007"/> schwärmerische Heftigkeit. Ein Charakter wie <hi rendition="#g">Hamlet,</hi> <lb n="p2c_785.008"/> ein Monolog wie der des Richard im Kerker, öffnet allein <lb n="p2c_785.009"/> schon die Aussicht in eine neue von den Griechen nicht gekannte <lb n="p2c_785.010"/> Welt. Freylich sind ein <hi rendition="#g">Eteokles,</hi> ein Orestes <lb n="p2c_785.011"/> bessere Helden für eine <hi rendition="#g">Handlung,</hi> aber <hi rendition="#g">Hamlet</hi> ist <lb n="p2c_785.012"/> eine ungewöhnlichere Erscheinung. Ein Adam, der in der <lb n="p2c_785.013"/> Schöpfung zuerst erwacht, ein Eloah, der zum erstenmal <lb n="p2c_785.014"/> den Ewigen Gott vor sich sieht, sind Wesen, die eine neue <lb n="p2c_785.015"/> Periode in der Geschichte der Menschheit, die Entwicklung <lb n="p2c_785.016"/> der tiefsten philosophischen Einsicht in das All der Dinge <lb n="p2c_785.017"/> verkünden. Die <hi rendition="#g">neue</hi> Tragödie, das Shakespearsche Drama <lb n="p2c_785.018"/> bringt nicht, wie die griechische, den Menschen mit dem <lb n="p2c_785.019"/> Geschick in Einigkeit, versöhnt ihn nicht durch das Band <lb n="p2c_785.020"/> der Schönheit mit der Natur, sondern sie läßt ihn in beständigem <lb n="p2c_785.021"/> Kampfe, damit er, durch die Freyheit, das Bewußtseyn <lb n="p2c_785.022"/> des Himmels erringe. Auch hierdurch verliehrt die <hi rendition="#g">historische</hi> <lb n="p2c_785.023"/> Poesie der Neuern an <hi rendition="#g">Schönheit,</hi> gewinnt aber <lb n="p2c_785.024"/> vielleicht an philosophischem Jnteresse. Ein anderer Reiz, <lb n="p2c_785.025"/> welchen die <hi rendition="#g">neue</hi> historische Poesie vor der <hi rendition="#g">alten</hi> voraus <lb n="p2c_785.026"/> hat, besteht in dem <hi rendition="#g">Romantischen,</hi> als einer neuen <lb n="p2c_785.027"/> Gattung des <hi rendition="#g">Wunderbaren.</hi> Homers Götterwelt hat <lb n="p2c_785.028"/> zu viel Licht, erregt selten <hi rendition="#g">Grausen,</hi> man möchte etwa </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [785/0309]
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und individuellex Neigung lieben, wenn alle Bande der p2c_785.002
Verwandschaft bey den Alten mehr für zufällig, als für p2c_785.003
nothwendig gehalten wurden, so fühlt sich dagegen ein Olint p2c_785.004
für Sophronie, ein Semida für Cidli geschaffen, so dehnt p2c_785.005
der neugeborne Mensch alle Bande der Geschlechter in eine p2c_785.006
Ewigkeit aus. Dies giebt den poetischen Gefühlen eine p2c_785.007
schwärmerische Heftigkeit. Ein Charakter wie Hamlet, p2c_785.008
ein Monolog wie der des Richard im Kerker, öffnet allein p2c_785.009
schon die Aussicht in eine neue von den Griechen nicht gekannte p2c_785.010
Welt. Freylich sind ein Eteokles, ein Orestes p2c_785.011
bessere Helden für eine Handlung, aber Hamlet ist p2c_785.012
eine ungewöhnlichere Erscheinung. Ein Adam, der in der p2c_785.013
Schöpfung zuerst erwacht, ein Eloah, der zum erstenmal p2c_785.014
den Ewigen Gott vor sich sieht, sind Wesen, die eine neue p2c_785.015
Periode in der Geschichte der Menschheit, die Entwicklung p2c_785.016
der tiefsten philosophischen Einsicht in das All der Dinge p2c_785.017
verkünden. Die neue Tragödie, das Shakespearsche Drama p2c_785.018
bringt nicht, wie die griechische, den Menschen mit dem p2c_785.019
Geschick in Einigkeit, versöhnt ihn nicht durch das Band p2c_785.020
der Schönheit mit der Natur, sondern sie läßt ihn in beständigem p2c_785.021
Kampfe, damit er, durch die Freyheit, das Bewußtseyn p2c_785.022
des Himmels erringe. Auch hierdurch verliehrt die historische p2c_785.023
Poesie der Neuern an Schönheit, gewinnt aber p2c_785.024
vielleicht an philosophischem Jnteresse. Ein anderer Reiz, p2c_785.025
welchen die neue historische Poesie vor der alten voraus p2c_785.026
hat, besteht in dem Romantischen, als einer neuen p2c_785.027
Gattung des Wunderbaren. Homers Götterwelt hat p2c_785.028
zu viel Licht, erregt selten Grausen, man möchte etwa
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