p2c_773.001 wenn der Mensch anfängt, außer sich durch bleibende p2c_773.002 sichtbare Zeichen darzustellen. Eben so wenig würden p2c_773.003 wir die ächten feurigen Naturgesänge der alten Barden haben, p2c_773.004 wenn auch Carls des Großen Sammlung der Bardenlieder p2c_773.005 noch vorhanden wäre. Der zweyte Zustand,p2c_773.006 in welchem wir den Menschen finden, ist der, welcher mit p2c_773.007 einer gewaltsamen Trennung desselben von der übrigen Natur p2c_773.008 beginnt. An die Stelle des Naturtriebes tritt eine gewisse p2c_773.009 Ahnung von Freyheit, statt natürlichen Eigenschaften p2c_773.010 erschafft sich der Mensch Convenzionen und Sitten. Die p2c_773.011 Erkenntniß, welche vorher höchstens symbolisch in der Hieroglyphe p2c_773.012 vorhanden war, wird in abstrakten Begriffen dargestellt, p2c_773.013 und durch die Schriftsprache allgemein objektivisirt. p2c_773.014 Erst in diesem zweyten Zeitalter, in dem Zeitalter der p2c_773.015 Cultur beginnt die wahre Poesie, als eine Kunst.p2c_773.016 Der Mensch stellt sich nun der Natur gegenüber und sucht p2c_773.017 ihr ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Weil er aber dem p2c_773.018 Naturstande immer noch ziemlich nahe ist, weil er sich p2c_773.019 durch die Cultur in einem minder glücklichen Zustande befindet, p2c_773.020 als er in den Zeiten der Rohheit war, so träumt p2c_773.021 er sich in den Naturzustand zurück, schmückt denselben p2c_773.022 durch Fabeln aus, und stellt die sichtbaren äußern Naturgegenstände p2c_773.023 mit Auffassung aller Züge ihres individuellen Lebens, p2c_773.024 ja sich selbst und seine Götter nur als Naturwesen in p2c_773.025 einem idealen Lichte dar. Dies ist der Charakter der p2c_773.026 alten Poesie, wie sich dieselbe bey den Griechen im Original,p2c_773.027 bey den Römern in der Kopie fand. Es ist nun p2c_773.028 auch sehr erklärbar, warum der scharfsinnige Aristoteles das
p2c_773.001 wenn der Mensch anfängt, außer sich durch bleibende p2c_773.002 sichtbare Zeichen darzustellen. Eben so wenig würden p2c_773.003 wir die ächten feurigen Naturgesänge der alten Barden haben, p2c_773.004 wenn auch Carls des Großen Sammlung der Bardenlieder p2c_773.005 noch vorhanden wäre. Der zweyte Zustand,p2c_773.006 in welchem wir den Menschen finden, ist der, welcher mit p2c_773.007 einer gewaltsamen Trennung desselben von der übrigen Natur p2c_773.008 beginnt. An die Stelle des Naturtriebes tritt eine gewisse p2c_773.009 Ahnung von Freyheit, statt natürlichen Eigenschaften p2c_773.010 erschafft sich der Mensch Convenzionen und Sitten. Die p2c_773.011 Erkenntniß, welche vorher höchstens symbolisch in der Hieroglyphe p2c_773.012 vorhanden war, wird in abstrakten Begriffen dargestellt, p2c_773.013 und durch die Schriftsprache allgemein objektivisirt. p2c_773.014 Erst in diesem zweyten Zeitalter, in dem Zeitalter der p2c_773.015 Cultur beginnt die wahre Poesie, als eine Kunst.p2c_773.016 Der Mensch stellt sich nun der Natur gegenüber und sucht p2c_773.017 ihr ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Weil er aber dem p2c_773.018 Naturstande immer noch ziemlich nahe ist, weil er sich p2c_773.019 durch die Cultur in einem minder glücklichen Zustande befindet, p2c_773.020 als er in den Zeiten der Rohheit war, so träumt p2c_773.021 er sich in den Naturzustand zurück, schmückt denselben p2c_773.022 durch Fabeln aus, und stellt die sichtbaren äußern Naturgegenstände p2c_773.023 mit Auffassung aller Züge ihres individuellen Lebens, p2c_773.024 ja sich selbst und seine Götter nur als Naturwesen in p2c_773.025 einem idealen Lichte dar. Dies ist der Charakter der p2c_773.026 alten Poesie, wie sich dieselbe bey den Griechen im Original,p2c_773.027 bey den Römern in der Kopie fand. Es ist nun p2c_773.028 auch sehr erklärbar, warum der scharfsinnige Aristoteles das
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 773. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/297>, abgerufen am 16.02.2025.
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