p2c_759.001 nachher von der Poesie durch den Styl poetische Einkleidung p2c_759.002 bekommen soll. Alsdann wäre freylich die poetische p2c_759.003 Fabel ein didaktisches Gedicht, wenn sie den Zweck hätte p2c_759.004 zu lehren. Die Fabel will aber nur gefallen als eine p2c_759.005 Ansicht von der Harmonie der Welt im Kleinen. Daß Menenius p2c_759.006 Agrippa die Römer durch eine Fabel überzeugt; beweist p2c_759.007 nicht die Macht der Beredsamkeit, sondern der Poesie, p2c_759.008 welcher die Beredsamkeit klüglich ihre Kunstgriffe ablernt. p2c_759.009 Aristoteles handelt von der Fabel in seiner Rhetorik unter p2c_759.010 dem Nahmen logos. Die Fabeln des Stesichorus und Aesop, p2c_759.011 die er anführt, sind politisch und rhetorisch. Allerdings p2c_759.012 hört der Mensch leichter auf Wahrheiten, die ihm unangenehm p2c_759.013 sind; wenn man sie symbolisch vorträgt. Deshalb p2c_759.014 mögen die Redner, (welche ein Witzling nach des Aristoteles p2c_759.015 Erzählung mit Ammen vergleicht, die das Muß den Kindern p2c_759.016 voressen und mit ihrem Speichel versetzen,) die Fabel p2c_759.017 von den Dichtern entlehnt haben. Socrates, der zufolge p2c_759.018 eines göttlichen Traums, Aesops Fabeln in Verse brachte, p2c_759.019 mußte vielleicht für dieses von Rednern und Philosophen an p2c_759.020 der Poesie begangene Plagium büßen. Wenn wir übrigens p2c_759.021 es zum wesentlichen der Fabel rechnen, daß das p2c_759.022 Sinnbild aus der nichtmoralischen Welt genommen p2c_759.023 seyn muß, so schließen wir freylich die moralischen Erzählungen p2c_759.024 oder die Beyspiele, und die Parabeln,p2c_759.025 allegorische Geschichten aus der Menschenwelt aus. Grössere p2c_759.026 moralische Erzählungen, wie die des Marmontel, gehören p2c_759.027 zum Roman. Die kleinern Erzählungen, Beyspiele p2c_759.028 aus der Menschenwelt, kann man, wenn man minder streng
p2c_759.001 nachher von der Poesie durch den Styl poetische Einkleidung p2c_759.002 bekommen soll. Alsdann wäre freylich die poetische p2c_759.003 Fabel ein didaktisches Gedicht, wenn sie den Zweck hätte p2c_759.004 zu lehren. Die Fabel will aber nur gefallen als eine p2c_759.005 Ansicht von der Harmonie der Welt im Kleinen. Daß Menenius p2c_759.006 Agrippa die Römer durch eine Fabel überzeugt; beweist p2c_759.007 nicht die Macht der Beredsamkeit, sondern der Poesie, p2c_759.008 welcher die Beredsamkeit klüglich ihre Kunstgriffe ablernt. p2c_759.009 Aristoteles handelt von der Fabel in seiner Rhetorik unter p2c_759.010 dem Nahmen λογος. Die Fabeln des Stesichorus und Aesop, p2c_759.011 die er anführt, sind politisch und rhetorisch. Allerdings p2c_759.012 hört der Mensch leichter auf Wahrheiten, die ihm unangenehm p2c_759.013 sind; wenn man sie symbolisch vorträgt. Deshalb p2c_759.014 mögen die Redner, (welche ein Witzling nach des Aristoteles p2c_759.015 Erzählung mit Ammen vergleicht, die das Muß den Kindern p2c_759.016 voressen und mit ihrem Speichel versetzen,) die Fabel p2c_759.017 von den Dichtern entlehnt haben. Socrates, der zufolge p2c_759.018 eines göttlichen Traums, Aesops Fabeln in Verse brachte, p2c_759.019 mußte vielleicht für dieses von Rednern und Philosophen an p2c_759.020 der Poesie begangene Plagium büßen. Wenn wir übrigens p2c_759.021 es zum wesentlichen der Fabel rechnen, daß das p2c_759.022 Sinnbild aus der nichtmoralischen Welt genommen p2c_759.023 seyn muß, so schließen wir freylich die moralischen Erzählungen p2c_759.024 oder die Beyspiele, und die Parabeln,p2c_759.025 allegorische Geschichten aus der Menschenwelt aus. Grössere p2c_759.026 moralische Erzählungen, wie die des Marmontel, gehören p2c_759.027 zum Roman. Die kleinern Erzählungen, Beyspiele p2c_759.028 aus der Menschenwelt, kann man, wenn man minder streng
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/283>, abgerufen am 16.02.2025.
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