p2c_745.001 welche das allegorische Gedicht bedarf, damit man den höhern p2c_745.002 Sinn errathe. Die mythologischen Gedichte der Alten p2c_745.003 sind Aggregate von Fabeln ohne alle nähere Verbindung p2c_745.004 zu einem höhern Sinne. Hiermit verlangen wir nicht, daß p2c_745.005 ein Palaephatus de Incredibilibus uns vordemonstrire, p2c_745.006 wie bey Entstehung dieser Fabeln alles natürlich zugegangen p2c_745.007 sey. Eine solche Einsicht in die gesammte Mythologie p2c_745.008 mag die Aufgeklärten unserer Tage interessiren, denen p2c_745.009 ein munterer Genius der Aufklärungstrieb mit der Fackel unaufhörlich p2c_745.010 vorschwebt, die wohl selbst den göttlichen Helden p2c_745.011 der Bibel sehr zu ehren glauben, wenn sie ihn den Sokrates p2c_745.012 der Christen nennen. - Wir fragen hier, was für nothwendige p2c_745.013 psychologische Gründe sogar die Heiden bestimmen p2c_745.014 mußten, die mythologischen Begebenheiten grade so und p2c_745.015 nicht anders zu idealisiren. Ließen sich die philosophischen p2c_745.016 Wahrheiten auffinden, welche bey Erfindung der Fabeln, p2c_745.017 ohne daß es die Erfinder selbst wußten, die Basis p2c_745.018 waren, so hätte man die Mythologie zur Allegoriep2c_745.019 erhoben. Allein die alten Dichter hingen zu sehr an dem p2c_745.020 Mährchenhaften, hatten keine Uebersicht des Ganzen, p2c_745.021 konnten also nur Data zu einem künftigen allegorischen Gedicht p2c_745.022 liefern. So muß man z. B. des Hesiodus Theogonie, p2c_745.023 die historischen Hymnendichter u. s. w. ansehn. Ovids p2c_745.024 Metamorphosen sind ein wunderbares Phänomen. Der p2c_745.025 Hauptgedanke an sich ist für den Ovid und überhaupt p2c_745.026 für die Römische Dichtkunst zu genialisch. Daß der römische p2c_745.027 Dichter bey einzelnen Stellen den Hesiodus, Theokrit, p2c_745.028 Callimachus vor den Augen gehabt hat, ist bekannt.
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/269>, abgerufen am 16.02.2025.
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