Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_720.001 p2c_720.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0244" n="720"/><lb n="p2c_720.001"/> was den Verstand interessirt, um <hi rendition="#g">didaktisches</hi> Gedicht <lb n="p2c_720.002"/> im strengern Sinne zu seyn. Es schwankt sehr in die <lb n="p2c_720.003"/> Gattung des <hi rendition="#g">beschreibenden</hi> Gedichts, der Jdylle hinüber. <lb n="p2c_720.004"/> Eben dies läßt sich von den <hi rendition="#aq">halienticis, cynegeticis</hi>, <lb n="p2c_720.005"/> von den <hi rendition="#aq">hortis</hi> (z. B. <hi rendition="#aq">Columella L. X</hi>.) und Landgedichten <lb n="p2c_720.006"/> (bey den Neuern <hi rendition="#aq">Rapin, Vaniere, de Lisle</hi>) sagen. <lb n="p2c_720.007"/> Erst beym Horaz <hi rendition="#aq">de arte poetica</hi> zeigt sich ein idealisirter <lb n="p2c_720.008"/> Verstand, der über die Grenzen und Regeln seiner <lb n="p2c_720.009"/> Kunst wissenschaftlich nachdenkt. Jhm sind Boileau, Pope, <lb n="p2c_720.010"/> Vida gefolgt. Auch die Araber haben Poetiken in Versen, <lb n="p2c_720.011"/> und es ist allerdings eine wunderbare Erscheinung, daß der <lb n="p2c_720.012"/> dichterische Geist in einer freyen poetischen Gedankenreihe, <lb n="p2c_720.013"/> eben dieser Gedankenreihe Gesetze giebt. Vielleicht ist der <lb n="p2c_720.014"/> Preis für ein Gedicht <hi rendition="#aq">de arte poetica</hi>, wo sich die menschliche <lb n="p2c_720.015"/> Seele zugleich als Phänomen und als Jntelligenz zeigen, <lb n="p2c_720.016"/> wo das Genie in seiner eigentlichen nüchternen Kraft <lb n="p2c_720.017"/> erscheinen, d. h. sich selbst die Schranken setzen soll, noch <lb n="p2c_720.018"/> einem künftigen Dichter aufbehalten. Denn Horaz war <lb n="p2c_720.019"/> nicht Selbstdenker genug, hielt sich ganz an Nebensachen <lb n="p2c_720.020"/> des Styls, und blieb bey dem von den Griechen eingeführten <lb n="p2c_720.021"/> Gewohnheitsrechten. Boileau ist wieder Nachahmer <lb n="p2c_720.022"/> eines Nachahmers, und Vida hat den traurigen psychologischen <lb n="p2c_720.023"/> Gedanken, einen Dichter <hi rendition="#g">erziehn,</hi> d. h. ein Wesen <lb n="p2c_720.024"/> nach Grundsätzen der Freyheit <hi rendition="#g">unglücklich</hi> machen zu <lb n="p2c_720.025"/> wollen. Schon daraus, daß die Gedichte über das Wesen <lb n="p2c_720.026"/> der Poesie, die wir haben, sämmtlich Lehrgedichte der zweyten <lb n="p2c_720.027"/> Ordnung sind, erhellt, daß der Hauptgedanke noch <lb n="p2c_720.028"/> nicht getroffen ist. Ein Gedicht über die Poesie muß ein </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [720/0244]
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was den Verstand interessirt, um didaktisches Gedicht p2c_720.002
im strengern Sinne zu seyn. Es schwankt sehr in die p2c_720.003
Gattung des beschreibenden Gedichts, der Jdylle hinüber. p2c_720.004
Eben dies läßt sich von den halienticis, cynegeticis, p2c_720.005
von den hortis (z. B. Columella L. X.) und Landgedichten p2c_720.006
(bey den Neuern Rapin, Vaniere, de Lisle) sagen. p2c_720.007
Erst beym Horaz de arte poetica zeigt sich ein idealisirter p2c_720.008
Verstand, der über die Grenzen und Regeln seiner p2c_720.009
Kunst wissenschaftlich nachdenkt. Jhm sind Boileau, Pope, p2c_720.010
Vida gefolgt. Auch die Araber haben Poetiken in Versen, p2c_720.011
und es ist allerdings eine wunderbare Erscheinung, daß der p2c_720.012
dichterische Geist in einer freyen poetischen Gedankenreihe, p2c_720.013
eben dieser Gedankenreihe Gesetze giebt. Vielleicht ist der p2c_720.014
Preis für ein Gedicht de arte poetica, wo sich die menschliche p2c_720.015
Seele zugleich als Phänomen und als Jntelligenz zeigen, p2c_720.016
wo das Genie in seiner eigentlichen nüchternen Kraft p2c_720.017
erscheinen, d. h. sich selbst die Schranken setzen soll, noch p2c_720.018
einem künftigen Dichter aufbehalten. Denn Horaz war p2c_720.019
nicht Selbstdenker genug, hielt sich ganz an Nebensachen p2c_720.020
des Styls, und blieb bey dem von den Griechen eingeführten p2c_720.021
Gewohnheitsrechten. Boileau ist wieder Nachahmer p2c_720.022
eines Nachahmers, und Vida hat den traurigen psychologischen p2c_720.023
Gedanken, einen Dichter erziehn, d. h. ein Wesen p2c_720.024
nach Grundsätzen der Freyheit unglücklich machen zu p2c_720.025
wollen. Schon daraus, daß die Gedichte über das Wesen p2c_720.026
der Poesie, die wir haben, sämmtlich Lehrgedichte der zweyten p2c_720.027
Ordnung sind, erhellt, daß der Hauptgedanke noch p2c_720.028
nicht getroffen ist. Ein Gedicht über die Poesie muß ein
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