Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_716.001 p2c_716.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0240" n="716"/><lb n="p2c_716.001"/> menschlichen Bestimmung nehmen, sondern sich nur auf <lb n="p2c_716.002"/> die Kunst zu leben beziehen, zum <hi rendition="#g">didaktischen</hi> Gedichte <lb n="p2c_716.003"/> zweyter Ordnung, nicht zum <hi rendition="#g">höhern</hi> Lehrgedicht. <lb n="p2c_716.004"/> Gleichwohl sind sie ihrem Jnhalte nach <hi rendition="#g">philosophisch.</hi> <lb n="p2c_716.005"/> Man sieht also, daß man das höhere Lehrgedicht nicht <hi rendition="#g">philosophisch</hi> <lb n="p2c_716.006"/> nennen kann, wie Eschenburg thut, und daß <lb n="p2c_716.007"/> man das niedere didaktische Gedicht nur insofern <hi rendition="#g">scientifisch</hi> <lb n="p2c_716.008"/> nennen kann, in wie fern man die Philosophie mit <lb n="p2c_716.009"/> zu den Wissenschaften zählt. So ist z. B. <hi rendition="#g">Wielands</hi> <lb n="p2c_716.010"/> Musarion eins der vorzüglichsten Lehrgedichte in erzählender <lb n="p2c_716.011"/> und Gesprächsform. Der Gegenstand ist die <hi rendition="#g">Philosophie,</hi> <lb n="p2c_716.012"/> und es wird der gefährliche Einfluß der philosophischen <lb n="p2c_716.013"/> Schwärmerey auf das Leben in Kontrast mit der wahren <lb n="p2c_716.014"/> Kunst das Leben zu genießen gestellt. Allein eben diesem <lb n="p2c_716.015"/> Jnhalte zufolge, so wie auch dem durchaus scherzhaften <lb n="p2c_716.016"/> Tone nach ist das Gedicht ein <hi rendition="#g">Lehrgedicht</hi> zweyter <lb n="p2c_716.017"/> <hi rendition="#g">Ordnung.</hi> Es wird hier blos eine heitre Lebensphilosophie, <lb n="p2c_716.018"/> eine <hi rendition="#g">Kunst</hi> zu leben vorgetragen, wie sie der Mensch als <lb n="p2c_716.019"/> Jndividuum auf dem Standpunkte eines epikurischen Skepticismus <lb n="p2c_716.020"/> zeigen kann. Von Erforschung der höhern Bestimmung <lb n="p2c_716.021"/> des Menschen und der Welt ist hier nicht die Rede. <lb n="p2c_716.022"/> Die Platonischen und Pythagorischen Systeme erscheinen hier <lb n="p2c_716.023"/> nicht als wahre Jdeen dargestellt, die wärmen und die Seele <lb n="p2c_716.024"/> füllen, sondern als <hi rendition="#g">Begriffe</hi> zum Spiel des Verstandes. <lb n="p2c_716.025"/> Sie können also keine Empfindung des höhern Schönen erwecken, <lb n="p2c_716.026"/> sie <hi rendition="#g">sollen</hi> es auch nicht dem Plane des Dichters <lb n="p2c_716.027"/> nach. <hi rendition="#g">Lukrez</hi> hat vielleicht noch weniger gläubige Resultate <lb n="p2c_716.028"/> aus seinem Materialismus gezogen, als die epikurische </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [716/0240]
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menschlichen Bestimmung nehmen, sondern sich nur auf p2c_716.002
die Kunst zu leben beziehen, zum didaktischen Gedichte p2c_716.003
zweyter Ordnung, nicht zum höhern Lehrgedicht. p2c_716.004
Gleichwohl sind sie ihrem Jnhalte nach philosophisch. p2c_716.005
Man sieht also, daß man das höhere Lehrgedicht nicht philosophisch p2c_716.006
nennen kann, wie Eschenburg thut, und daß p2c_716.007
man das niedere didaktische Gedicht nur insofern scientifisch p2c_716.008
nennen kann, in wie fern man die Philosophie mit p2c_716.009
zu den Wissenschaften zählt. So ist z. B. Wielands p2c_716.010
Musarion eins der vorzüglichsten Lehrgedichte in erzählender p2c_716.011
und Gesprächsform. Der Gegenstand ist die Philosophie, p2c_716.012
und es wird der gefährliche Einfluß der philosophischen p2c_716.013
Schwärmerey auf das Leben in Kontrast mit der wahren p2c_716.014
Kunst das Leben zu genießen gestellt. Allein eben diesem p2c_716.015
Jnhalte zufolge, so wie auch dem durchaus scherzhaften p2c_716.016
Tone nach ist das Gedicht ein Lehrgedicht zweyter p2c_716.017
Ordnung. Es wird hier blos eine heitre Lebensphilosophie, p2c_716.018
eine Kunst zu leben vorgetragen, wie sie der Mensch als p2c_716.019
Jndividuum auf dem Standpunkte eines epikurischen Skepticismus p2c_716.020
zeigen kann. Von Erforschung der höhern Bestimmung p2c_716.021
des Menschen und der Welt ist hier nicht die Rede. p2c_716.022
Die Platonischen und Pythagorischen Systeme erscheinen hier p2c_716.023
nicht als wahre Jdeen dargestellt, die wärmen und die Seele p2c_716.024
füllen, sondern als Begriffe zum Spiel des Verstandes. p2c_716.025
Sie können also keine Empfindung des höhern Schönen erwecken, p2c_716.026
sie sollen es auch nicht dem Plane des Dichters p2c_716.027
nach. Lukrez hat vielleicht noch weniger gläubige Resultate p2c_716.028
aus seinem Materialismus gezogen, als die epikurische
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