Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804. p2c_703.001 p2c_703.002 p2c_703.014 p2c_703.001 p2c_703.002 p2c_703.014 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0227" n="703"/> <p> <hi rendition="#c"><lb n="p2c_703.001"/> §. 2.</hi> </p> <p><lb n="p2c_703.002"/> Da die <hi rendition="#g">Allgemeinbegriffe</hi> und <hi rendition="#g">Lehren,</hi> <lb n="p2c_703.003"/> welche die didaktische Poesie darstellt, in einem idealen <lb n="p2c_703.004"/> Lichte erscheinen sollen, so müssen sie nach den oben aufgestellten <lb n="p2c_703.005"/> Grundsätzen 1) ohne Zwang des Verstandes, <lb n="p2c_703.006"/> nicht synthetisch, wie ein vollendetes System, sondern <lb n="p2c_703.007"/> analytisch, wie eine erst werdende Abstraction, in der <lb n="p2c_703.008"/> Seele des Dichters entstehn, 2) sie müssen anschaulich, <lb n="p2c_703.009"/> sinnlich, lebhaft, mit steter Rücksicht auf einzelne <lb n="p2c_703.010"/> Fälle und Gefühle vorgetragen werden, 3) sie müssen <lb n="p2c_703.011"/> eine begreifliche Totalität darstellen, 4) sie müssen ein <lb n="p2c_703.012"/> Gefühl von Harmonie des subjektiven und objektiven, <lb n="p2c_703.013"/> ein Gefühl der Wahrheit in uns erwecken.</p> <p><lb n="p2c_703.014"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> Mehrere alte Kunstrichter haben den <lb n="p2c_703.015"/> Hesiodus und Theognis blos unter die Versificateure gesetzt. <lb n="p2c_703.016"/> Empedocles, der seine Grundsätze der Physik in Verse brachte, <lb n="p2c_703.017"/> wird von den meisten nur als Naturkundiger aufgeführt. <lb n="p2c_703.018"/> <hi rendition="#aq">Plutarchus de audiendis poetis</hi> nennt den Empedocles <lb n="p2c_703.019"/> Verfasser eines Werks in Versen, keines Gedichts. Eben <lb n="p2c_703.020"/> so urtheilt er von Nicander, Parmenides und andern. Der <lb n="p2c_703.021"/> Kunstrichter mag hier eben so geirrt haben, wie der Dichter. <lb n="p2c_703.022"/> Er meynt, zum Begriff der Poesie sey eine fabelhafte Erfindung <lb n="p2c_703.023"/> unumgänglich nothwendig. Aber hierinnen fehlt <lb n="p2c_703.024"/> er. Alles was <hi rendition="#g">Jdeal</hi> ist, ist Gegenstand der Poesie. <lb n="p2c_703.025"/> Jedes <hi rendition="#g">System</hi> der Wahrheit ist in seinen höchsten Regionen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [703/0227]
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§. 2.
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Da die Allgemeinbegriffe und Lehren, p2c_703.003
welche die didaktische Poesie darstellt, in einem idealen p2c_703.004
Lichte erscheinen sollen, so müssen sie nach den oben aufgestellten p2c_703.005
Grundsätzen 1) ohne Zwang des Verstandes, p2c_703.006
nicht synthetisch, wie ein vollendetes System, sondern p2c_703.007
analytisch, wie eine erst werdende Abstraction, in der p2c_703.008
Seele des Dichters entstehn, 2) sie müssen anschaulich, p2c_703.009
sinnlich, lebhaft, mit steter Rücksicht auf einzelne p2c_703.010
Fälle und Gefühle vorgetragen werden, 3) sie müssen p2c_703.011
eine begreifliche Totalität darstellen, 4) sie müssen ein p2c_703.012
Gefühl von Harmonie des subjektiven und objektiven, p2c_703.013
ein Gefühl der Wahrheit in uns erwecken.
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Anmerk. Mehrere alte Kunstrichter haben den p2c_703.015
Hesiodus und Theognis blos unter die Versificateure gesetzt. p2c_703.016
Empedocles, der seine Grundsätze der Physik in Verse brachte, p2c_703.017
wird von den meisten nur als Naturkundiger aufgeführt. p2c_703.018
Plutarchus de audiendis poetis nennt den Empedocles p2c_703.019
Verfasser eines Werks in Versen, keines Gedichts. Eben p2c_703.020
so urtheilt er von Nicander, Parmenides und andern. Der p2c_703.021
Kunstrichter mag hier eben so geirrt haben, wie der Dichter. p2c_703.022
Er meynt, zum Begriff der Poesie sey eine fabelhafte Erfindung p2c_703.023
unumgänglich nothwendig. Aber hierinnen fehlt p2c_703.024
er. Alles was Jdeal ist, ist Gegenstand der Poesie. p2c_703.025
Jedes System der Wahrheit ist in seinen höchsten Regionen
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