Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_496.001
Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten p2c_496.002
Schönheit als eine Organisation vorkommen können, p2c_496.003
in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares p2c_496.004
Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die p2c_496.005
Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt p2c_496.006
durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung p2c_496.007
zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen p2c_496.008
Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit p2c_496.009
und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, p2c_496.010
zusammen, und die Erziehung der Menschheit p2c_496.011
erscheint als eine schöne geistige Organisation. p2c_496.012
Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, p2c_496.013
an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit p2c_496.014
ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch p2c_496.015
die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt p2c_496.016
ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes p2c_496.017
ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation p2c_496.018
ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung p2c_496.019
ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner p2c_496.020
Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des p2c_496.021
Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung p2c_496.022
des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. p2c_496.023
Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die p2c_496.024
Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen p2c_496.025
muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene p2c_496.026
Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich p2c_496.027
als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen p2c_496.028
Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische

p2c_496.001
Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten p2c_496.002
Schönheit als eine Organisation vorkommen können, p2c_496.003
in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares p2c_496.004
Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die p2c_496.005
Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt p2c_496.006
durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung p2c_496.007
zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen p2c_496.008
Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit p2c_496.009
und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, p2c_496.010
zusammen, und die Erziehung der Menschheit p2c_496.011
erscheint als eine schöne geistige Organisation. p2c_496.012
Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, p2c_496.013
an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit p2c_496.014
ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch p2c_496.015
die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt p2c_496.016
ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes p2c_496.017
ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation p2c_496.018
ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung p2c_496.019
ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner p2c_496.020
Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des p2c_496.021
Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung p2c_496.022
des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. p2c_496.023
Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die p2c_496.024
Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen p2c_496.025
muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene p2c_496.026
Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich p2c_496.027
als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen p2c_496.028
Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="496"/><lb n="p2c_496.001"/>
Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten <lb n="p2c_496.002"/>
Schönheit als eine <hi rendition="#g">Organisation</hi> vorkommen können, <lb n="p2c_496.003"/>
in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares <lb n="p2c_496.004"/>
Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die <lb n="p2c_496.005"/>
Menschheit <hi rendition="#g">erzogen</hi> werden muß, erscheint sie bestimmt <lb n="p2c_496.006"/>
durch die <hi rendition="#g">Nothwendigkeit.</hi> Hat aber die <hi rendition="#g">Erziehung</hi> <lb n="p2c_496.007"/>
zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen <lb n="p2c_496.008"/>
Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende <hi rendition="#g">Nothwendigkeit</hi> <lb n="p2c_496.009"/>
und <hi rendition="#g">Freyheit,</hi> wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, <lb n="p2c_496.010"/>
zusammen, und die <hi rendition="#g">Erziehung</hi> der Menschheit <lb n="p2c_496.011"/>
erscheint als eine schöne <hi rendition="#g">geistige Organisation.</hi> <lb n="p2c_496.012"/>
Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, <lb n="p2c_496.013"/>
an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit <lb n="p2c_496.014"/>
ein, daß sie sich <hi rendition="#g">selbst</hi> mit erzogen habe, weil sie durch <lb n="p2c_496.015"/>
die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt <lb n="p2c_496.016"/>
ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes <lb n="p2c_496.017"/>
ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation <lb n="p2c_496.018"/>
ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung <lb n="p2c_496.019"/>
ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner <lb n="p2c_496.020"/>
Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des <lb n="p2c_496.021"/>
Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung <lb n="p2c_496.022"/>
des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. <lb n="p2c_496.023"/>
Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die <lb n="p2c_496.024"/>
Hand, woran man eine <hi rendition="#g">wahre</hi> religiöse Weltgeschichte erkennen <lb n="p2c_496.025"/>
muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene <lb n="p2c_496.026"/>
Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: <hi rendition="#g">erstlich</hi> <lb n="p2c_496.027"/>
als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen <lb n="p2c_496.028"/>
Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[496/0020] p2c_496.001 Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten p2c_496.002 Schönheit als eine Organisation vorkommen können, p2c_496.003 in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares p2c_496.004 Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die p2c_496.005 Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt p2c_496.006 durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung p2c_496.007 zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen p2c_496.008 Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit p2c_496.009 und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie, p2c_496.010 zusammen, und die Erziehung der Menschheit p2c_496.011 erscheint als eine schöne geistige Organisation. p2c_496.012 Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt, p2c_496.013 an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit p2c_496.014 ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch p2c_496.015 die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt p2c_496.016 ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes p2c_496.017 ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation p2c_496.018 ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung p2c_496.019 ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner p2c_496.020 Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des p2c_496.021 Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung p2c_496.022 des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt. p2c_496.023 Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die p2c_496.024 Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen p2c_496.025 muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene p2c_496.026 Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich p2c_496.027 als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen p2c_496.028 Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/20
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/20>, abgerufen am 24.11.2024.