Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_666.001
herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen p2c_666.002
ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich p2c_666.003
ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das p2c_666.004
beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige p2c_666.005
italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten p2c_666.006
lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe, p2c_666.007
sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich p2c_666.008
ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit p2c_666.009
verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit, p2c_666.010
daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt, p2c_666.011
wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht. p2c_666.012
Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so p2c_666.013
etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe. p2c_666.014
Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche. p2c_666.015
Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden p2c_666.016
auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann p2c_666.017
es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand p2c_666.018
aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in p2c_666.019
denen das naive herrscht.

p2c_666.020
Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum p2c_666.021
betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die p2c_666.022
oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden. p2c_666.023
Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen p2c_666.024
einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten p2c_666.025
zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß p2c_666.026
den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also p2c_666.027
die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten

p2c_666.001
herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen p2c_666.002
ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich p2c_666.003
ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das p2c_666.004
beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige p2c_666.005
italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten p2c_666.006
lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe, p2c_666.007
sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich p2c_666.008
ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit p2c_666.009
verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit, p2c_666.010
daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt, p2c_666.011
wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht. p2c_666.012
Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so p2c_666.013
etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe. p2c_666.014
Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche. p2c_666.015
Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden p2c_666.016
auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann p2c_666.017
es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand p2c_666.018
aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in p2c_666.019
denen das naive herrscht.

p2c_666.020
Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum p2c_666.021
betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die p2c_666.022
oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden. p2c_666.023
Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen p2c_666.024
einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten p2c_666.025
zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß p2c_666.026
den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also p2c_666.027
die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0190" n="666"/><lb n="p2c_666.001"/>
herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen <lb n="p2c_666.002"/>
ist. Die <hi rendition="#aq">favola boscareccia</hi> ist bey den Jtalienern vorzüglich <lb n="p2c_666.003"/>
ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das <lb n="p2c_666.004"/>
beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige <lb n="p2c_666.005"/>
italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten <lb n="p2c_666.006"/>
lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe, <lb n="p2c_666.007"/>
sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich <lb n="p2c_666.008"/>
ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit <lb n="p2c_666.009"/>
verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit, <lb n="p2c_666.010"/>
daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt, <lb n="p2c_666.011"/>
wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht. <lb n="p2c_666.012"/>
Der Ausdruck <hi rendition="#g">idyllisches</hi> Drama hat eben so <lb n="p2c_666.013"/>
etwas contrastirendes bey sich, als der: <hi rendition="#g">Schäferepopöe.</hi> <lb n="p2c_666.014"/>
Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche. <lb n="p2c_666.015"/>
Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden <lb n="p2c_666.016"/>
auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann <lb n="p2c_666.017"/>
es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand <lb n="p2c_666.018"/>
aus dem <hi rendition="#g">wirklichen</hi> ländlichen Leben genommen ist, in <lb n="p2c_666.019"/>
denen das <hi rendition="#g">naive</hi> herrscht.</p>
            <p><lb n="p2c_666.020"/><hi rendition="#g">Anmerk.</hi> 4. Was den <hi rendition="#g">Styl</hi> und das <hi rendition="#g">Metrum</hi> <lb n="p2c_666.021"/>
betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die <lb n="p2c_666.022"/>
oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden. <lb n="p2c_666.023"/>
Das <hi rendition="#g">edle</hi> Lustspiel verlangt einen natürlichen <lb n="p2c_666.024"/>
einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten <lb n="p2c_666.025"/>
zu beobachten ist. Das <hi rendition="#g">feinkomische</hi> Lustspiel muß <lb n="p2c_666.026"/>
den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also     <lb n="p2c_666.027"/>
die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[666/0190] p2c_666.001 herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen p2c_666.002 ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich p2c_666.003 ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das p2c_666.004 beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige p2c_666.005 italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten p2c_666.006 lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe, p2c_666.007 sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich p2c_666.008 ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit p2c_666.009 verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit, p2c_666.010 daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt, p2c_666.011 wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht. p2c_666.012 Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so p2c_666.013 etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe. p2c_666.014 Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche. p2c_666.015 Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden p2c_666.016 auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann p2c_666.017 es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand p2c_666.018 aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in p2c_666.019 denen das naive herrscht. p2c_666.020 Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum p2c_666.021 betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die p2c_666.022 oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden. p2c_666.023 Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen p2c_666.024 einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten p2c_666.025 zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß p2c_666.026 den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also p2c_666.027 die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/190
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/190>, abgerufen am 24.11.2024.