Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_649.001 p2c_649.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0173" n="649"/><lb n="p2c_649.001"/> traurig ist, <hi rendition="#g">Schauspiele</hi> im Engern Sinne. Unsere <lb n="p2c_649.002"/> <hi rendition="#g">Melodramen,</hi> obligate Recitative nähern sich der <lb n="p2c_649.003"/> Tragödie der Alten. Die Rezitationen derselben werden mit <lb n="p2c_649.004"/> Musik begleitet. Da hier kein eigentlicher Gesang ist; so <lb n="p2c_649.005"/> unterscheiden sie sich von der Oper. Der Gegenstand muß <lb n="p2c_649.006"/> freylich aus der Wunderwelt seyn, z. B. Gerstenbergs Ariadne. <lb n="p2c_649.007"/> Der Effekt, den diese lyrischen Dramen machen, die <lb n="p2c_649.008"/> uns in eine höhere Welt versetzen, zeigt, was die Tragödie <lb n="p2c_649.009"/> der Alten wirken mußte. Denn mit der eigentlichen Oper <lb n="p2c_649.010"/> darf man die alte Tragödie nicht vergleichen, da die Musik <lb n="p2c_649.011"/> bey den Alten nur das Gedicht unterstützte, ihre Rezitation <lb n="p2c_649.012"/> nur eine erhöhte Declamazion war. Unsre Oper ist aber ein <lb n="p2c_649.013"/> durchaus musikalisches Gedicht. ─ Neuerlich ist der Ausdruck <lb n="p2c_649.014"/> <hi rendition="#g">romantische</hi> Tragödie aufgekommen. Wahrscheinlich <lb n="p2c_649.015"/> versteht man darunter eine Tragödie, welche das <lb n="p2c_649.016"/> <hi rendition="#g">Wunderbare</hi> aufnimmt. Das <hi rendition="#g">Wunderbare</hi> gehört <lb n="p2c_649.017"/> zwar nicht eben so zum Wesen der <hi rendition="#g">tragischen</hi> Handlung, <lb n="p2c_649.018"/> wie es zum Wesen des Heldengedichts gehört. Jndeß <lb n="p2c_649.019"/> fand es doch bey den Alten statt. Besonders Aeschylus <lb n="p2c_649.020"/> nimmt seine Stoffe aus der Fabelwelt. Beym Sophocles <lb n="p2c_649.021"/> sind die <hi rendition="#g">Erscheinungen</hi> der Götter seltener, des Schicksals <lb n="p2c_649.022"/> Einwirkung ist mehr durch Orakel u. s. w. ins Dunkle <lb n="p2c_649.023"/> gestellt. Da die <hi rendition="#g">Tragödie</hi> Charaktere im Kampfe der <lb n="p2c_649.024"/> Handlung, im Augenblick des Entschlusses darstellt, so kann <lb n="p2c_649.025"/> das Wunderbare hier selbst insofern eingreifen, daß unbekannte <lb n="p2c_649.026"/> Mächte zur Willensbestimmung des Menschen beytragen; <lb n="p2c_649.027"/> z. B. in Makbeth. Dies vermehrt das <hi rendition="#g">Tragische</hi> <lb n="p2c_649.028"/> der Empfindung. Denn die <hi rendition="#g">Freyheit,</hi> welche der </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [649/0173]
p2c_649.001
traurig ist, Schauspiele im Engern Sinne. Unsere p2c_649.002
Melodramen, obligate Recitative nähern sich der p2c_649.003
Tragödie der Alten. Die Rezitationen derselben werden mit p2c_649.004
Musik begleitet. Da hier kein eigentlicher Gesang ist; so p2c_649.005
unterscheiden sie sich von der Oper. Der Gegenstand muß p2c_649.006
freylich aus der Wunderwelt seyn, z. B. Gerstenbergs Ariadne. p2c_649.007
Der Effekt, den diese lyrischen Dramen machen, die p2c_649.008
uns in eine höhere Welt versetzen, zeigt, was die Tragödie p2c_649.009
der Alten wirken mußte. Denn mit der eigentlichen Oper p2c_649.010
darf man die alte Tragödie nicht vergleichen, da die Musik p2c_649.011
bey den Alten nur das Gedicht unterstützte, ihre Rezitation p2c_649.012
nur eine erhöhte Declamazion war. Unsre Oper ist aber ein p2c_649.013
durchaus musikalisches Gedicht. ─ Neuerlich ist der Ausdruck p2c_649.014
romantische Tragödie aufgekommen. Wahrscheinlich p2c_649.015
versteht man darunter eine Tragödie, welche das p2c_649.016
Wunderbare aufnimmt. Das Wunderbare gehört p2c_649.017
zwar nicht eben so zum Wesen der tragischen Handlung, p2c_649.018
wie es zum Wesen des Heldengedichts gehört. Jndeß p2c_649.019
fand es doch bey den Alten statt. Besonders Aeschylus p2c_649.020
nimmt seine Stoffe aus der Fabelwelt. Beym Sophocles p2c_649.021
sind die Erscheinungen der Götter seltener, des Schicksals p2c_649.022
Einwirkung ist mehr durch Orakel u. s. w. ins Dunkle p2c_649.023
gestellt. Da die Tragödie Charaktere im Kampfe der p2c_649.024
Handlung, im Augenblick des Entschlusses darstellt, so kann p2c_649.025
das Wunderbare hier selbst insofern eingreifen, daß unbekannte p2c_649.026
Mächte zur Willensbestimmung des Menschen beytragen; p2c_649.027
z. B. in Makbeth. Dies vermehrt das Tragische p2c_649.028
der Empfindung. Denn die Freyheit, welche der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |