Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_647.001 p2c_647.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0171" n="647"/><lb n="p2c_647.001"/> fassen kann. Die Oper kann das abentheuerliche, das <lb n="p2c_647.002"/> wunderbare weit mehr in den Decorationen suchen, als die <lb n="p2c_647.003"/> ernsthafte Tragödie. Wenn dies <hi rendition="#aq">cock-pit</hi>, wie Shakespear <lb n="p2c_647.004"/> irgendwo sagt, die ungeheuren Gefilde von Frankreich mit <lb n="p2c_647.005"/> allen seinen Armeen zeigen soll, so kann es nicht fehlen, daß <lb n="p2c_647.006"/> die Anstrengung im kleinen etwas großes darzustellen, nicht <lb n="p2c_647.007"/> Veranlassung zu Unschicklichkeiten gebe. Die ernsthafte <lb n="p2c_647.008"/> Tragödie muß aber alles der Art beleidigende vermeiden. <lb n="p2c_647.009"/> Da ferner die tragische Handlung <hi rendition="#g">vorgestellt</hi> werden <lb n="p2c_647.010"/> soll, so darf das was auf dem Theater vor unsern Augen <lb n="p2c_647.011"/> geschieht, nicht den Sinnen zuwider seyn, weil das sreye <lb n="p2c_647.012"/> Spiel der Einbildungskraft nothwendig leiden muß, sobald <lb n="p2c_647.013"/> ein wahrer Abscheu in uns rege wird. Daher die bekannte <lb n="p2c_647.014"/> Regel des Horaz, daß Medea ihre Kinder nicht vor dem <lb n="p2c_647.015"/> Volke umbringen müsse. Wider das Uebliche darf der tragische <lb n="p2c_647.016"/> Dichter am wenigsten fehlen, noch den Schauspielern <lb n="p2c_647.017"/> Gelegenheit geben, dagegen zu verstoßen. Jeder Verstoß <lb n="p2c_647.018"/> wider die Geschichte und Sitten der vorgestellten Zeit fällt <lb n="p2c_647.019"/> natürlich auf dem Theater mehr in die Augen. Ferner muß <lb n="p2c_647.020"/> der Dichter den Schauspieler nicht zu Bewegungen und Gesten <lb n="p2c_647.021"/> veranlassen, welche in Ansehung der Mimik tadelhaft <lb n="p2c_647.022"/> oder der mahlerischen Gruppirung zuwider wären. Ein Fehler <lb n="p2c_647.023"/> dieser Art ist die Ohrfeige im Cid. Endlich muß der <lb n="p2c_647.024"/> Tragiker allerdings auch auf den Charakter seines Publikums <lb n="p2c_647.025"/> Rücksicht nehmen. <hi rendition="#g">Voltaire</hi> klagt, daß die frivole <lb n="p2c_647.026"/> Stimmung seiner Nazion die Bühne zu sehr beschränke. <lb n="p2c_647.027"/> Shakespear habe viel vorstellen können, was kein französischer <lb n="p2c_647.028"/> Dichter wagen dürfe aufs Theater zu bringen, wenn </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [647/0171]
p2c_647.001
fassen kann. Die Oper kann das abentheuerliche, das p2c_647.002
wunderbare weit mehr in den Decorationen suchen, als die p2c_647.003
ernsthafte Tragödie. Wenn dies cock-pit, wie Shakespear p2c_647.004
irgendwo sagt, die ungeheuren Gefilde von Frankreich mit p2c_647.005
allen seinen Armeen zeigen soll, so kann es nicht fehlen, daß p2c_647.006
die Anstrengung im kleinen etwas großes darzustellen, nicht p2c_647.007
Veranlassung zu Unschicklichkeiten gebe. Die ernsthafte p2c_647.008
Tragödie muß aber alles der Art beleidigende vermeiden. p2c_647.009
Da ferner die tragische Handlung vorgestellt werden p2c_647.010
soll, so darf das was auf dem Theater vor unsern Augen p2c_647.011
geschieht, nicht den Sinnen zuwider seyn, weil das sreye p2c_647.012
Spiel der Einbildungskraft nothwendig leiden muß, sobald p2c_647.013
ein wahrer Abscheu in uns rege wird. Daher die bekannte p2c_647.014
Regel des Horaz, daß Medea ihre Kinder nicht vor dem p2c_647.015
Volke umbringen müsse. Wider das Uebliche darf der tragische p2c_647.016
Dichter am wenigsten fehlen, noch den Schauspielern p2c_647.017
Gelegenheit geben, dagegen zu verstoßen. Jeder Verstoß p2c_647.018
wider die Geschichte und Sitten der vorgestellten Zeit fällt p2c_647.019
natürlich auf dem Theater mehr in die Augen. Ferner muß p2c_647.020
der Dichter den Schauspieler nicht zu Bewegungen und Gesten p2c_647.021
veranlassen, welche in Ansehung der Mimik tadelhaft p2c_647.022
oder der mahlerischen Gruppirung zuwider wären. Ein Fehler p2c_647.023
dieser Art ist die Ohrfeige im Cid. Endlich muß der p2c_647.024
Tragiker allerdings auch auf den Charakter seines Publikums p2c_647.025
Rücksicht nehmen. Voltaire klagt, daß die frivole p2c_647.026
Stimmung seiner Nazion die Bühne zu sehr beschränke. p2c_647.027
Shakespear habe viel vorstellen können, was kein französischer p2c_647.028
Dichter wagen dürfe aufs Theater zu bringen, wenn
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |