p2c_625.001 durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu p2c_625.002 grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände, p2c_625.003 (wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so p2c_625.004 hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden. p2c_625.005 Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand p2c_625.006 wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum. p2c_625.007 Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln, p2c_625.008 gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue.p2c_625.009 Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt p2c_625.010 eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus p2c_625.011 Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte p2c_625.012 Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht p2c_625.013 hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung p2c_625.014 ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander, p2c_625.015 daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das p2c_625.016 Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit p2c_625.017 der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse,p2c_625.018 durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal p2c_625.019 weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht p2c_625.020 kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie p2c_625.021 hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der p2c_625.022 höchste Moment der Thätigkeit (akme). Daher muß es p2c_625.023 keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe p2c_625.024 des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer. p2c_625.025 Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht. p2c_625.026 So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu p2c_625.027 Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz. p2c_625.028 Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das
p2c_625.001 durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu p2c_625.002 grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände, p2c_625.003 (wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so p2c_625.004 hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden. p2c_625.005 Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand p2c_625.006 wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum. p2c_625.007 Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln, p2c_625.008 gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue.p2c_625.009 Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt p2c_625.010 eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus p2c_625.011 Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte p2c_625.012 Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht p2c_625.013 hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung p2c_625.014 ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander, p2c_625.015 daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das p2c_625.016 Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit p2c_625.017 der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse,p2c_625.018 durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal p2c_625.019 weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht p2c_625.020 kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie p2c_625.021 hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der p2c_625.022 höchste Moment der Thätigkeit (ακμη). Daher muß es p2c_625.023 keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe p2c_625.024 des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer. p2c_625.025 Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht. p2c_625.026 So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu p2c_625.027 Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz. p2c_625.028 Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0149"n="625"/><lbn="p2c_625.001"/>
durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu <lbn="p2c_625.002"/>
grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände, <lbn="p2c_625.003"/>
(wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so <lbn="p2c_625.004"/>
hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden. <lbn="p2c_625.005"/>
Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand <lbn="p2c_625.006"/>
wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum. <lbn="p2c_625.007"/>
Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln, <lbn="p2c_625.008"/>
gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels <hirendition="#g">Jntrigue.</hi><lbn="p2c_625.009"/>
Die höhere <hirendition="#g">Tragödie</hi> sollte nie zum Jnhalt <lbn="p2c_625.010"/>
eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus <lbn="p2c_625.011"/>
Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte <lbn="p2c_625.012"/>
Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht <lbn="p2c_625.013"/>
hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung <lbn="p2c_625.014"/>
ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander, <lbn="p2c_625.015"/>
daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das <lbn="p2c_625.016"/>
Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit <lbn="p2c_625.017"/>
der Handlung wird durch Ein herrschendes <hirendition="#g">Hauptinteresse,</hi><lbn="p2c_625.018"/>
durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal <lbn="p2c_625.019"/>
weniger <hirendition="#g">Personen</hi> bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht <lbn="p2c_625.020"/>
kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie <lbn="p2c_625.021"/>
hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der <lbn="p2c_625.022"/>
höchste Moment der Thätigkeit (<foreignxml:lang="grc">ακμη</foreign>). Daher muß es <lbn="p2c_625.023"/>
keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe <lbn="p2c_625.024"/>
des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer. <lbn="p2c_625.025"/>
Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht. <lbn="p2c_625.026"/>
So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu <lbn="p2c_625.027"/><hirendition="#g">Vertrauten</hi> genommen, z. B. Corneille in dem Horaz. <lbn="p2c_625.028"/>
Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[625/0149]
p2c_625.001
durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu p2c_625.002
grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände, p2c_625.003
(wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so p2c_625.004
hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden. p2c_625.005
Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand p2c_625.006
wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum. p2c_625.007
Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln, p2c_625.008
gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue. p2c_625.009
Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt p2c_625.010
eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus p2c_625.011
Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte p2c_625.012
Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht p2c_625.013
hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung p2c_625.014
ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander, p2c_625.015
daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das p2c_625.016
Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit p2c_625.017
der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse, p2c_625.018
durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal p2c_625.019
weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht p2c_625.020
kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie p2c_625.021
hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der p2c_625.022
höchste Moment der Thätigkeit (ακμη). Daher muß es p2c_625.023
keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe p2c_625.024
des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer. p2c_625.025
Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht. p2c_625.026
So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu p2c_625.027
Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz. p2c_625.028
Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/149>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.