p2c_624.001 können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht p2c_624.002 ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. - Pedantisch p2c_624.003 würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen, p2c_624.004 daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern p2c_624.005 strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B. p2c_624.006 den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die p2c_624.007 Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit p2c_624.008 dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger p2c_624.009 Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen p2c_624.010 öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle p2c_624.011 die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig. p2c_624.012 Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer p2c_624.013 Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung p2c_624.014 der Szene vor unsern Augen mag bey romantischenp2c_624.015 Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn. p2c_624.016 Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit p2c_624.017 des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren aggelos, p2c_624.018 der das erzählte, was hinter der Szene vorging. p2c_624.019 Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten, p2c_624.020 große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter p2c_624.021 an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum p2c_624.022 Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen, p2c_624.023 wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen p2c_624.024 im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so p2c_624.025 ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel. p2c_624.026 3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfachp2c_624.027 seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das p2c_624.028 Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand
p2c_624.001 können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht p2c_624.002 ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. ─ Pedantisch p2c_624.003 würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen, p2c_624.004 daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern p2c_624.005 strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B. p2c_624.006 den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die p2c_624.007 Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit p2c_624.008 dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger p2c_624.009 Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen p2c_624.010 öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle p2c_624.011 die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig. p2c_624.012 Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer p2c_624.013 Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung p2c_624.014 der Szene vor unsern Augen mag bey romantischenp2c_624.015 Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn. p2c_624.016 Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit p2c_624.017 des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren αγγελος, p2c_624.018 der das erzählte, was hinter der Szene vorging. p2c_624.019 Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten, p2c_624.020 große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter p2c_624.021 an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum p2c_624.022 Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen, p2c_624.023 wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen p2c_624.024 im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so p2c_624.025 ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel. p2c_624.026 3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfachp2c_624.027 seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das p2c_624.028 Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0148"n="624"/><lbn="p2c_624.001"/>
können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht <lbn="p2c_624.002"/>
ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. ─ Pedantisch <lbn="p2c_624.003"/>
würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen, <lbn="p2c_624.004"/>
daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern <lbn="p2c_624.005"/>
strengen Kritiker verlangen also nur <hirendition="#g">Eine</hi> Gegend, z. B. <lbn="p2c_624.006"/>
den Umkreis eines <hirendition="#g">Pallastes.</hi> Bey den Alten war die <lbn="p2c_624.007"/>
Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit <lbn="p2c_624.008"/>
dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger <lbn="p2c_624.009"/>
Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen <lbn="p2c_624.010"/>
öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle <lbn="p2c_624.011"/>
die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig. <lbn="p2c_624.012"/>
Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer <lbn="p2c_624.013"/>
Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung <lbn="p2c_624.014"/>
der Szene vor unsern Augen mag bey <hirendition="#g">romantischen</hi><lbn="p2c_624.015"/>
Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn. <lbn="p2c_624.016"/>
Aber beym <hirendition="#g">Trauerspiel</hi> stöhrt sie die ernste Einfachheit <lbn="p2c_624.017"/>
des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren <foreignxml:lang="grc">αγγελος</foreign>, <lbn="p2c_624.018"/>
der das erzählte, was hinter der Szene vorging. <lbn="p2c_624.019"/>
Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten, <lbn="p2c_624.020"/>
große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter <lbn="p2c_624.021"/>
an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum <lbn="p2c_624.022"/>
Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen, <lbn="p2c_624.023"/>
wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen <lbn="p2c_624.024"/>
im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so <lbn="p2c_624.025"/>
ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel. <lbn="p2c_624.026"/>
3) Muß die <hirendition="#g">Handlung</hi> selbst im Trauerspiel <hirendition="#g">einfach</hi><lbn="p2c_624.027"/>
seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das <lbn="p2c_624.028"/><hirendition="#g">Trauerspiel</hi> eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[624/0148]
p2c_624.001
können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht p2c_624.002
ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. ─ Pedantisch p2c_624.003
würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen, p2c_624.004
daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern p2c_624.005
strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B. p2c_624.006
den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die p2c_624.007
Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit p2c_624.008
dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger p2c_624.009
Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen p2c_624.010
öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle p2c_624.011
die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig. p2c_624.012
Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer p2c_624.013
Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung p2c_624.014
der Szene vor unsern Augen mag bey romantischen p2c_624.015
Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn. p2c_624.016
Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit p2c_624.017
des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren αγγελος, p2c_624.018
der das erzählte, was hinter der Szene vorging. p2c_624.019
Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten, p2c_624.020
große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter p2c_624.021
an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum p2c_624.022
Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen, p2c_624.023
wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen p2c_624.024
im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so p2c_624.025
ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel. p2c_624.026
3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfach p2c_624.027
seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das p2c_624.028
Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/148>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.
