Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p2c_609.001
Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher p2c_609.002
das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen p2c_609.003
Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte p2c_609.004
wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und p2c_609.005
Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich p2c_609.006
in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren. p2c_609.007
Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher p2c_609.008
bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung p2c_609.009
mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern p2c_609.010
Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch p2c_609.011
sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen, p2c_609.012
z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der p2c_609.013
eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere p2c_609.014
Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze p2c_609.015
Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen p2c_609.016
von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder p2c_609.017
und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt p2c_609.018
u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem p2c_609.019
romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus p2c_609.020
hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern. p2c_609.021
Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen p2c_609.022
das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem p2c_609.023
Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können, p2c_609.024
wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte p2c_609.025
er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So p2c_609.026
schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack, p2c_609.027
und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das p2c_609.028
Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen

p2c_609.001
Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher p2c_609.002
das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen p2c_609.003
Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte p2c_609.004
wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und p2c_609.005
Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich p2c_609.006
in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren. p2c_609.007
Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher p2c_609.008
bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung p2c_609.009
mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern p2c_609.010
Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch p2c_609.011
sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen, p2c_609.012
z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der p2c_609.013
eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere p2c_609.014
Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze p2c_609.015
Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen p2c_609.016
von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder p2c_609.017
und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt p2c_609.018
u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem p2c_609.019
romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus p2c_609.020
hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern. p2c_609.021
Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen p2c_609.022
das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem p2c_609.023
Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können, p2c_609.024
wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte p2c_609.025
er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So p2c_609.026
schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack, p2c_609.027
und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das p2c_609.028
Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0133" n="609"/><lb n="p2c_609.001"/>
Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher <lb n="p2c_609.002"/>
das <hi rendition="#g">Wunderbare</hi> zur Hauptingredienz der eigentlichen <lb n="p2c_609.003"/>
Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte <lb n="p2c_609.004"/>
wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und <lb n="p2c_609.005"/>
Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich <lb n="p2c_609.006"/>
in das <hi rendition="#g">Unbegreifliche,</hi> in die Fabelwelt verliehren. <lb n="p2c_609.007"/>
Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher <lb n="p2c_609.008"/>
bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung <lb n="p2c_609.009"/>
mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern <lb n="p2c_609.010"/>
Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch <lb n="p2c_609.011"/>
sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen, <lb n="p2c_609.012"/>
z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der <lb n="p2c_609.013"/>
eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das <hi rendition="#g">höhere</hi> <lb n="p2c_609.014"/>
Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze <lb n="p2c_609.015"/>
Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen <lb n="p2c_609.016"/>
von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder <lb n="p2c_609.017"/>
und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt <lb n="p2c_609.018"/>
u. s. w. Die <hi rendition="#g">Odyssee</hi> nähert sich schon mehr dem <lb n="p2c_609.019"/> <hi rendition="#g">romantischen</hi> Gedicht; bey den Reisen des Odysseus <lb n="p2c_609.020"/>
hat man also das Abentheuerliche, die <hi rendition="#aq">Somnia Iouis</hi> gern. <lb n="p2c_609.021"/>
Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen <lb n="p2c_609.022"/>
das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem <lb n="p2c_609.023"/>
Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können, <lb n="p2c_609.024"/>
wär sein Geist nicht zu <hi rendition="#g">idealisch</hi> gewesen, so hätte <lb n="p2c_609.025"/>
er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So <lb n="p2c_609.026"/>
schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack, <lb n="p2c_609.027"/>
und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das     <lb n="p2c_609.028"/> <hi rendition="#g">Wunderbare</hi> nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[609/0133] p2c_609.001 Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher p2c_609.002 das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen p2c_609.003 Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte p2c_609.004 wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und p2c_609.005 Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich p2c_609.006 in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren. p2c_609.007 Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher p2c_609.008 bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung p2c_609.009 mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern p2c_609.010 Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch p2c_609.011 sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen, p2c_609.012 z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der p2c_609.013 eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere p2c_609.014 Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze p2c_609.015 Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen p2c_609.016 von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder p2c_609.017 und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt p2c_609.018 u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem p2c_609.019 romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus p2c_609.020 hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern. p2c_609.021 Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen p2c_609.022 das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem p2c_609.023 Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können, p2c_609.024 wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte p2c_609.025 er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So p2c_609.026 schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack, p2c_609.027 und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das p2c_609.028 Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/133
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/133>, abgerufen am 24.11.2024.