Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_595.001 p2c_595.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0119" n="595"/><lb n="p2c_595.001"/> lebhaft zu machen, muß sie in einem etwas kürzern Zeitraum <lb n="p2c_595.002"/> hineingedrängt werden, damit sich das Einzelne als <lb n="p2c_595.003"/> werdend darstellen lasse. Auch aus diesem Grunde gebraucht <lb n="p2c_595.004"/> der erzählende Dichter <hi rendition="#g">Episoden,</hi> verweist manche <lb n="p2c_595.005"/> vorhergehenden und folgenden Begebenheiten in dieselben, <lb n="p2c_595.006"/> und concentrirt dadurch den Moment der Willensthätigkeit. <lb n="p2c_595.007"/> Homer ist hierin dem Virgil vorzuziehn, in zehn Haupttagen <lb n="p2c_595.008"/> geschieht bey ihm mehr, als in einem Jahre des Virgils. <lb n="p2c_595.009"/> Wenn der Dichter zu große Zeiträume umfaßt, sieht er sich <lb n="p2c_595.010"/> genöthigt zu <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> abstracten Begriffen seine Zuflucht <lb n="p2c_595.011"/> zu nehmen, und dann wird das Gedicht, wie beym <lb n="p2c_595.012"/> Silius Jtalicus, Lucanus, Voltaire, zur rednerischen Historie. <lb n="p2c_595.013"/> Um der Anschaulichkeit willen begeht Homer oft Unordnungen, <lb n="p2c_595.014"/> wiederholt sich u. s. w. Ferner muß, um die <lb n="p2c_595.015"/> Handlung <hi rendition="#g">lebhaft</hi> zu machen, die Willensthätigkeit etwas <lb n="p2c_595.016"/> angestrengt, die Aufmerksamkeit auf den Ausgang gespannt <lb n="p2c_595.017"/> werden. Dies ist nicht anders möglich, als wenn dem <lb n="p2c_595.018"/> Hauptzweck <hi rendition="#g">Schwierigkeiten</hi> und Hindernisse in den <lb n="p2c_595.019"/> Weg gelegt werden. Hieraus entsteht zu gleicher Zeit eine <lb n="p2c_595.020"/> gewisse <hi rendition="#g">Verwicklung</hi> (<foreign xml:lang="grc">δεσις</foreign>, <hi rendition="#aq">Aristot</hi>. ein Knoten,) der <lb n="p2c_595.021"/> am Ende die Entwicklung (<foreign xml:lang="grc">λυσις</foreign>) vollkommen entsprechen <lb n="p2c_595.022"/> muß. Zur Lebhaftigkeit der Handlung bey der <hi rendition="#g">Verwicklung</hi> <lb n="p2c_595.023"/> und <hi rendition="#g">Entwicklung</hi> gehört auch das, was Aristoteles <lb n="p2c_595.024"/> <foreign xml:lang="grc">περιπετεια</foreign> und <foreign xml:lang="grc">αναγνωρισις</foreign> nennt. Alles dieses <lb n="p2c_595.025"/> findet zwar in höherer Potenz nur in dramatischen Werken <lb n="p2c_595.026"/> statt, weil hier die Hauptmomente oder <hi rendition="#g">Katastrophen</hi> <lb n="p2c_595.027"/> der Handlung mehr concentrirt sind. Allein es ist auch auf <lb n="p2c_595.028"/> andre historische Gedichte anwendbar. Die <hi rendition="#g">Peripetie</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [595/0119]
p2c_595.001
lebhaft zu machen, muß sie in einem etwas kürzern Zeitraum p2c_595.002
hineingedrängt werden, damit sich das Einzelne als p2c_595.003
werdend darstellen lasse. Auch aus diesem Grunde gebraucht p2c_595.004
der erzählende Dichter Episoden, verweist manche p2c_595.005
vorhergehenden und folgenden Begebenheiten in dieselben, p2c_595.006
und concentrirt dadurch den Moment der Willensthätigkeit. p2c_595.007
Homer ist hierin dem Virgil vorzuziehn, in zehn Haupttagen p2c_595.008
geschieht bey ihm mehr, als in einem Jahre des Virgils. p2c_595.009
Wenn der Dichter zu große Zeiträume umfaßt, sieht er sich p2c_595.010
genöthigt zu allgemeinen abstracten Begriffen seine Zuflucht p2c_595.011
zu nehmen, und dann wird das Gedicht, wie beym p2c_595.012
Silius Jtalicus, Lucanus, Voltaire, zur rednerischen Historie. p2c_595.013
Um der Anschaulichkeit willen begeht Homer oft Unordnungen, p2c_595.014
wiederholt sich u. s. w. Ferner muß, um die p2c_595.015
Handlung lebhaft zu machen, die Willensthätigkeit etwas p2c_595.016
angestrengt, die Aufmerksamkeit auf den Ausgang gespannt p2c_595.017
werden. Dies ist nicht anders möglich, als wenn dem p2c_595.018
Hauptzweck Schwierigkeiten und Hindernisse in den p2c_595.019
Weg gelegt werden. Hieraus entsteht zu gleicher Zeit eine p2c_595.020
gewisse Verwicklung (δεσις, Aristot. ein Knoten,) der p2c_595.021
am Ende die Entwicklung (λυσις) vollkommen entsprechen p2c_595.022
muß. Zur Lebhaftigkeit der Handlung bey der Verwicklung p2c_595.023
und Entwicklung gehört auch das, was Aristoteles p2c_595.024
περιπετεια und αναγνωρισις nennt. Alles dieses p2c_595.025
findet zwar in höherer Potenz nur in dramatischen Werken p2c_595.026
statt, weil hier die Hauptmomente oder Katastrophen p2c_595.027
der Handlung mehr concentrirt sind. Allein es ist auch auf p2c_595.028
andre historische Gedichte anwendbar. Die Peripetie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |