Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_580.001 p2c_580.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="580"/><lb n="p2c_580.001"/> Ton anzunehmen, nach dem sich alle andre Empfindungen <lb n="p2c_580.002"/> modifiziren müssen, wie bey der <hi rendition="#g">Elegie</hi> das <hi rendition="#g">Sanfte,</hi> <lb n="p2c_580.003"/> und bey dem <hi rendition="#g">Liede</hi> das <hi rendition="#g">Edle.</hi> Die <hi rendition="#g">Gemüthsstimmung</hi> <lb n="p2c_580.004"/> des Dichters, die sie darstellt, muß <hi rendition="#g">Laune</hi> seyn. <lb n="p2c_580.005"/> Jn diesem Geiste sind auch die besten Episteln der Dichter <lb n="p2c_580.006"/> geschrieben. Horaz, Boileau, Addisson, Göcking, Gleim, <lb n="p2c_580.007"/> Jacobi, Ebert u. s. w. liefern Beyspiele. ─ Veranlassung <lb n="p2c_580.008"/> und Gedankeninhalt der Epistel sind willkührlich. Horazens <lb n="p2c_580.009"/> Episteln sind zufällige freye Werke der Laune, er erzählt, <lb n="p2c_580.010"/> er trägt eine Lebenssentenz vor; aber alles mit sokratischer <lb n="p2c_580.011"/> Jronie über sich selbst. Man sieht, er will nichts <lb n="p2c_580.012"/> planmäßiges darstellen, er folgt der augenblicklichen Eingebung <lb n="p2c_580.013"/> seines Genies. Eben wegen dieser launigen Jronie, die <lb n="p2c_580.014"/> der Epistel eigen ist, dieser leichten Manier über das Leben <lb n="p2c_580.015"/> zu scherzen, haben auch viele <hi rendition="#g">Lehrdichter,</hi> die einen <lb n="p2c_580.016"/> ernsthaften Zweck hatten, die Form der Epistel gewählt. <lb n="p2c_580.017"/> Der Styl der Epistel kann natürlich seyn, kann auch zuweilen <lb n="p2c_580.018"/> höher sich heben, alles, wie es die Laune bestimmt. <lb n="p2c_580.019"/> Das Metrum muß frey, und nicht sehr von der Sprache der <lb n="p2c_580.020"/> Prosa entfernt seyn. Horazens Hexameter ist beynahe zu <lb n="p2c_580.021"/> ernsthaft. ─ Das Elegieenmaaß des Ovid hat zu viel <lb n="p2c_580.022"/> lyrisches für die wirkliche Epistel; (etwas anders ist von der <lb n="p2c_580.023"/> <hi rendition="#g">Elegie</hi> in Briefform zu sagen s. oben). Boileau hat <lb n="p2c_580.024"/> seine Alexandriner. Die Engländer haben etwas kürzere <lb n="p2c_580.025"/> jambische Verse in dieser Dichtungsart. Die Deutschen <lb n="p2c_580.026"/> haben kleine kurze leichte Verse angenommen, und das paßt <lb n="p2c_580.027"/> im Grunde am besten. Unter mehreren Modificationen <lb n="p2c_580.028"/> von Empfindungen nimmt die Epistel das <hi rendition="#g">satyrische</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [580/0104]
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Ton anzunehmen, nach dem sich alle andre Empfindungen p2c_580.002
modifiziren müssen, wie bey der Elegie das Sanfte, p2c_580.003
und bey dem Liede das Edle. Die Gemüthsstimmung p2c_580.004
des Dichters, die sie darstellt, muß Laune seyn. p2c_580.005
Jn diesem Geiste sind auch die besten Episteln der Dichter p2c_580.006
geschrieben. Horaz, Boileau, Addisson, Göcking, Gleim, p2c_580.007
Jacobi, Ebert u. s. w. liefern Beyspiele. ─ Veranlassung p2c_580.008
und Gedankeninhalt der Epistel sind willkührlich. Horazens p2c_580.009
Episteln sind zufällige freye Werke der Laune, er erzählt, p2c_580.010
er trägt eine Lebenssentenz vor; aber alles mit sokratischer p2c_580.011
Jronie über sich selbst. Man sieht, er will nichts p2c_580.012
planmäßiges darstellen, er folgt der augenblicklichen Eingebung p2c_580.013
seines Genies. Eben wegen dieser launigen Jronie, die p2c_580.014
der Epistel eigen ist, dieser leichten Manier über das Leben p2c_580.015
zu scherzen, haben auch viele Lehrdichter, die einen p2c_580.016
ernsthaften Zweck hatten, die Form der Epistel gewählt. p2c_580.017
Der Styl der Epistel kann natürlich seyn, kann auch zuweilen p2c_580.018
höher sich heben, alles, wie es die Laune bestimmt. p2c_580.019
Das Metrum muß frey, und nicht sehr von der Sprache der p2c_580.020
Prosa entfernt seyn. Horazens Hexameter ist beynahe zu p2c_580.021
ernsthaft. ─ Das Elegieenmaaß des Ovid hat zu viel p2c_580.022
lyrisches für die wirkliche Epistel; (etwas anders ist von der p2c_580.023
Elegie in Briefform zu sagen s. oben). Boileau hat p2c_580.024
seine Alexandriner. Die Engländer haben etwas kürzere p2c_580.025
jambische Verse in dieser Dichtungsart. Die Deutschen p2c_580.026
haben kleine kurze leichte Verse angenommen, und das paßt p2c_580.027
im Grunde am besten. Unter mehreren Modificationen p2c_580.028
von Empfindungen nimmt die Epistel das satyrische
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