p1c_018.001 ohne dafür von den Musen gestraft zu werden. Die Dichtkunst p1c_018.002 kann eben so gut als ein Monolog des Dichters p1c_018.003 angesehen werden. Sibi cantat et Musis. Hätte Tyrtäus p1c_018.004 seinen Zweck nicht erreicht, er wäre immer ein guter p1c_018.005 Dichter, wenn gleich ein schlechter Feldherr gewesen. Er p1c_018.006 hatte als Dichter keine Außenwelt zu realisiren, er p1c_018.007 realisirte die ideale Welt in sich. Nun haben aber p1c_018.008 die Redner bemerkt, daß die Dichtkunst durch ihre Anspruchlosigkeit p1c_018.009 gefällt, daß sie lehrt, ohne den Schein p1c_018.010 zu haben, daß sie lehre, daß sie oft zu Ueberzeugung hinreisse p1c_018.011 und die Gemüther erleuchte, wenn der ohnmächtige p1c_018.012 Verstand es aufgeben muß, die Menschen zu Annahme p1c_018.013 seiner Lehren zu zwingen. Hieraus entsteht die Regel der p1c_018.014 Beredsamkeit: suche dich in deiner Rede dem Dichter zu p1c_018.015 nähern, mache es zu deinem Nebenzwecke, durch ein von p1c_018.016 der Poesie entlehntes äußeres Gewand, zu gefallen,p1c_018.017 wenn das Publikum anders eines reinen Geschmacksurtheils p1c_018.018 fähig ist. Dieses macht, daß die Beredsamkeit zuweilen p1c_018.019 zu den schönen Künsten gezählt wird. Der Redner p1c_018.020 schmückt sein Gedankengebäude aus, wie der Baumeister, p1c_018.021 daß man nicht nur eingehe und darinnen wohne, sondern p1c_018.022 auch gern eingehe und darinnen wohne. Jn sofern der p1c_018.023 Dichter zuweilen eine Außenwelt nachahmt und idealisirt, p1c_018.024 kann es ihm auch in den Sinn kommen, beredte Menschen p1c_018.025 zu schildern, wie Homer den Odysseus. Dann muß er p1c_018.026 sich gefallen lassen, wie jeder darstellende Dichter vor p1c_018.027 dem Richterstuhle des Verstandes zu erscheinen. Er wird p1c_018.028 von einem Dionysius Halikarnass., von einem Quinktilian
p1c_018.001 ohne dafür von den Musen gestraft zu werden. Die Dichtkunst p1c_018.002 kann eben so gut als ein Monolog des Dichters p1c_018.003 angesehen werden. Sibi cantat et Musis. Hätte Tyrtäus p1c_018.004 seinen Zweck nicht erreicht, er wäre immer ein guter p1c_018.005 Dichter, wenn gleich ein schlechter Feldherr gewesen. Er p1c_018.006 hatte als Dichter keine Außenwelt zu realisiren, er p1c_018.007 realisirte die ideale Welt in sich. Nun haben aber p1c_018.008 die Redner bemerkt, daß die Dichtkunst durch ihre Anspruchlosigkeit p1c_018.009 gefällt, daß sie lehrt, ohne den Schein p1c_018.010 zu haben, daß sie lehre, daß sie oft zu Ueberzeugung hinreisse p1c_018.011 und die Gemüther erleuchte, wenn der ohnmächtige p1c_018.012 Verstand es aufgeben muß, die Menschen zu Annahme p1c_018.013 seiner Lehren zu zwingen. Hieraus entsteht die Regel der p1c_018.014 Beredsamkeit: suche dich in deiner Rede dem Dichter zu p1c_018.015 nähern, mache es zu deinem Nebenzwecke, durch ein von p1c_018.016 der Poesie entlehntes äußeres Gewand, zu gefallen,p1c_018.017 wenn das Publikum anders eines reinen Geschmacksurtheils p1c_018.018 fähig ist. Dieses macht, daß die Beredsamkeit zuweilen p1c_018.019 zu den schönen Künsten gezählt wird. Der Redner p1c_018.020 schmückt sein Gedankengebäude aus, wie der Baumeister, p1c_018.021 daß man nicht nur eingehe und darinnen wohne, sondern p1c_018.022 auch gern eingehe und darinnen wohne. Jn sofern der p1c_018.023 Dichter zuweilen eine Außenwelt nachahmt und idealisirt, p1c_018.024 kann es ihm auch in den Sinn kommen, beredte Menschen p1c_018.025 zu schildern, wie Homer den Odysseus. Dann muß er p1c_018.026 sich gefallen lassen, wie jeder darstellende Dichter vor p1c_018.027 dem Richterstuhle des Verstandes zu erscheinen. Er wird p1c_018.028 von einem Dionysius Halikarnass., von einem Quinktilian
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/76>, abgerufen am 26.11.2024.
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