p1c_462.001 allein Werth giebt, (gleichwie die Moralität im Augenblick p1c_462.002 des Handelns,) so ist es noch weit mehr Bedürfniß p1c_462.003 der Menschheit überhaupt, die Weltbegebenheiten im p1c_462.004 Ganzen nicht historisch und physisch zu erforschen, denn p1c_462.005 dann verwandelt sich die Schöpfung in ein leeres Gerippe, p1c_462.006 sondern poetisch unter einer religiösen Ansicht des p1c_462.007 Glaubens zu betrachten. Nur allein dadurch bekömmt die p1c_462.008 Geschichte einen Werth, eine Hoheit, die sie über den p1c_462.009 zufälligen wandelbaren Charakter der Zeitlichkeit erhebt. p1c_462.010 Wer es wagt, mit menschlichen Augen des Verstandes die p1c_462.011 Begebenheiten des irdischen Daseyns umfassen zu wollen, der p1c_462.012 wird für diese Keckheit mit einer Gemüthsstimmung gestraft, p1c_462.013 welcher er gewiß gern überhoben wäre. Er muß ausrufen, p1c_462.014 wie der Prediger Salomonis: "Und des Volks, das vor mir p1c_462.015 ging, war kein Ende, und deß das nachging. Und wurden p1c_462.016 doch nicht froh des Lebens. Denn alles ist eitel und Jammer. p1c_462.017 Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur p1c_462.018 Mitternacht, und wieder herum an den Ort, da er anfing. p1c_462.019 Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht p1c_462.020 völler. An dem Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder p1c_462.021 hin." Mag für einen Augenblick der weltliche Glanz p1c_462.022 der Geschichte blendend seyn. Mag es selbst eine ästhetische p1c_462.023 Empfindung von Größe geben, die Völkerschaften in ewigem p1c_462.024 Kreislanfe einander verschlingen zu sehen. Das planlose p1c_462.025 ewige Einerley ermüdet. Die Empfindung der Größep1c_462.026 ist eine unvollendete ästhetische Empfindung, die nichts p1c_462.027 als Gleichgültigkeit zurückläßt, wenn nicht das Erhabenep1c_462.028 dazu kommt. Jedes Große ist wieder klein. Denn es
p1c_462.001 allein Werth giebt, (gleichwie die Moralität im Augenblick p1c_462.002 des Handelns,) so ist es noch weit mehr Bedürfniß p1c_462.003 der Menschheit überhaupt, die Weltbegebenheiten im p1c_462.004 Ganzen nicht historisch und physisch zu erforschen, denn p1c_462.005 dann verwandelt sich die Schöpfung in ein leeres Gerippe, p1c_462.006 sondern poetisch unter einer religiösen Ansicht des p1c_462.007 Glaubens zu betrachten. Nur allein dadurch bekömmt die p1c_462.008 Geschichte einen Werth, eine Hoheit, die sie über den p1c_462.009 zufälligen wandelbaren Charakter der Zeitlichkeit erhebt. p1c_462.010 Wer es wagt, mit menschlichen Augen des Verstandes die p1c_462.011 Begebenheiten des irdischen Daseyns umfassen zu wollen, der p1c_462.012 wird für diese Keckheit mit einer Gemüthsstimmung gestraft, p1c_462.013 welcher er gewiß gern überhoben wäre. Er muß ausrufen, p1c_462.014 wie der Prediger Salomonis: „Und des Volks, das vor mir p1c_462.015 ging, war kein Ende, und deß das nachging. Und wurden p1c_462.016 doch nicht froh des Lebens. Denn alles ist eitel und Jammer. p1c_462.017 Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur p1c_462.018 Mitternacht, und wieder herum an den Ort, da er anfing. p1c_462.019 Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht p1c_462.020 völler. An dem Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder p1c_462.021 hin.“ Mag für einen Augenblick der weltliche Glanz p1c_462.022 der Geschichte blendend seyn. Mag es selbst eine ästhetische p1c_462.023 Empfindung von Größe geben, die Völkerschaften in ewigem p1c_462.024 Kreislanfe einander verschlingen zu sehen. Das planlose p1c_462.025 ewige Einerley ermüdet. Die Empfindung der Größep1c_462.026 ist eine unvollendete ästhetische Empfindung, die nichts p1c_462.027 als Gleichgültigkeit zurückläßt, wenn nicht das Erhabenep1c_462.028 dazu kommt. Jedes Große ist wieder klein. Denn es
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/520>, abgerufen am 24.11.2024.
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