p1c_415.001 Stabat mater dolorosa, iuxta crucem lacrimosa, dum p1c_415.002 pendebat filius. - Morgen Liebe, wer die Liebe je empfand p1c_415.003 - cras amet, qui nunquam amavit, quique p1c_415.004 amavit, cras amet. - Bienen summsen um die Bluten, p1c_415.005 und der Westwind schwärmt sich matt - u. s. w. Die p1c_415.006 kurzen jambisch=trochäischen Reihen mit dem Auftakt sind p1c_415.007 weit stärker. Denn die vorangehende Kürze giebt dem Jctus p1c_415.008 mehr Kraft und dem Verse mehr Munterkeit und Stärke. p1c_415.009 Wir haben bey der Lehre vom Reime zwar behauptet, daß p1c_415.010 derselbe sich mit einem genauen Sylbenmaaße nicht vertrage, p1c_415.011 aber dabey die lyrischen kleinern Gedichte und p1c_415.012 Strophen ausgenommen, wo die Verse nicht zu lang sind. p1c_415.013 Hier muß immer zugleich mit dem Reime eine genaue Reinheit p1c_415.014 in Absicht auf die Sylbenquantität beobachtet werden. p1c_415.015 Hat ein Distichon von Reimen in lyrischen Stücken ein Gesetz, p1c_415.016 z. B. das trochäische mit oder ohne Auftakt, so gewöhnt p1c_415.017 sich das Ohr daran, und es muß fortdauernd beobachtet p1c_415.018 werden. Die Dichter setzen nun bald kürzere, bald p1c_415.019 längere Verse zusammen, aber immer nach einem Gesetz, p1c_415.020 und hat hier der erste Vers einen Auftakt, so muß ihn der p1c_415.021 andre auch haben. Z. B. "Sie ist dahin, die Mayenlieder p1c_415.022 tönte - die Sängerin." - 2) Mehr erhebt sich das p1c_415.023 Sylbenmaaß, wenn ein daktylisches Gesetz darinnen p1c_415.024 herrscht, deswegen, weil der Jctus dann etwas später wiederkehrt, p1c_415.025 folglich etwas längere Zeittheile mit einander verglichen p1c_415.026 werden, welches die Aufmerksamkeit schon mehr anspannt
p1c_415.001 Stábat máter dolorósa, iúxta crucem lacrimósa, dum p1c_415.002 pendébat filius. – Mórgen Líebe, wér die Líebe je empfand p1c_415.003 ─ crás amét, qui núnquam amavit, quique p1c_415.004 amavit, cras amet. – Bíenen summsen úm die Blǘten, p1c_415.005 und der Westwind schwärmt sich matt ─ u. s. w. Die p1c_415.006 kurzen jambisch=trochäischen Reihen mit dem Auftakt sind p1c_415.007 weit stärker. Denn die vorangehende Kürze giebt dem Jctus p1c_415.008 mehr Kraft und dem Verse mehr Munterkeit und Stärke. p1c_415.009 Wir haben bey der Lehre vom Reime zwar behauptet, daß p1c_415.010 derselbe sich mit einem genauen Sylbenmaaße nicht vertrage, p1c_415.011 aber dabey die lyrischen kleinern Gedichte und p1c_415.012 Strophen ausgenommen, wo die Verse nicht zu lang sind. p1c_415.013 Hier muß immer zugleich mit dem Reime eine genaue Reinheit p1c_415.014 in Absicht auf die Sylbenquantität beobachtet werden. p1c_415.015 Hat ein Distichon von Reimen in lyrischen Stücken ein Gesetz, p1c_415.016 z. B. das trochäische mit oder ohne Auftakt, so gewöhnt p1c_415.017 sich das Ohr daran, und es muß fortdauernd beobachtet p1c_415.018 werden. Die Dichter setzen nun bald kürzere, bald p1c_415.019 längere Verse zusammen, aber immer nach einem Gesetz, p1c_415.020 und hat hier der erste Vers einen Auftakt, so muß ihn der p1c_415.021 andre auch haben. Z. B. „Sie íst dahin, die Mayenlieder p1c_415.022 tönte ─ die Sä́ngerin.“ ─ 2) Mehr erhebt sich das p1c_415.023 Sylbenmaaß, wenn ein daktylisches Gesetz darinnen p1c_415.024 herrscht, deswegen, weil der Jctus dann etwas später wiederkehrt, p1c_415.025 folglich etwas längere Zeittheile mit einander verglichen p1c_415.026 werden, welches die Aufmerksamkeit schon mehr anspannt
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tönte ─ die Sä́ngerin.“ ─ 2) Mehr erhebt sich das p1c_415.023
Sylbenmaaß, wenn ein daktylisches Gesetz darinnen p1c_415.024
herrscht, deswegen, weil der Jctus dann etwas später wiederkehrt, p1c_415.025
folglich etwas längere Zeittheile mit einander verglichen p1c_415.026
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/473>, abgerufen am 25.11.2024.
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