Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_389.001
später erfunden. Jndessen läßt die Verbindung mit der p1c_389.002
Musik vermuthen, daß bald eine Art Takt an die Stelle p1c_389.003
des freyen Rhythmus getreten seyn werde, weil man im p1c_389.004
Gesange bald wahrnimmt, welcher Vocal mehr Länge und p1c_389.005
mehr Kürze seiner Natur nach haben kann. Mehrere neuere p1c_389.006
Nazionen haben demungeachtet noch jetzt nichts weiter als p1c_389.007
die Sylbenzahl, woran sie sich halten, und sind durch p1c_389.008
ihre Nachlässigkeit in Absicht auf die Quantität ganz unmusikalisch. p1c_389.009
Z. B. die Französische, in deren Gesange viele p1c_389.010
Sylben, z. E. stumme e, unausstehlich producirt werden, p1c_389.011
weswegen auch ihre Componisten bis auf diese Stunde auf p1c_389.012
gar kein metrisches Gesetz Rücksicht nehmen und die Worte p1c_389.013
wider alle Quantität gebrauchen. Gezählte und gereimte p1c_389.014
Verse dieser Art sind freylich ein bloßes Surrogat des Metrums. p1c_389.015
Crescimbeni, der eine Geschichte della volgar p1c_389.016
Poesia
(der Ausdruck: vulgaris poesia, eloquentia p1c_389.017
findet sich in Büchern älterer Zeit sehr häufig) geschrieben p1c_389.018
hat, leitet den Ursprung des heroisches Sylbenmaaßes der p1c_389.019
Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten her. Quoi p1c_389.020
dono lepidum novumm libellum. Catull Nel mezzo p1c_389.021
del cammin di nostra vita - mi ritrovai per una p1c_389.022
selva oscura. Dante. Che se venisse alcuno in p1c_389.023
questo luogo. Trissin
. Allein offenbar zählt Hesperiens p1c_389.024
Lied nur die Laute, um mit Klopstock zu reden. Denn p1c_389.025
die kurzen Sylben werden großentheils elidirt, so bleiben

p1c_389.001
später erfunden. Jndessen läßt die Verbindung mit der p1c_389.002
Musik vermuthen, daß bald eine Art Takt an die Stelle p1c_389.003
des freyen Rhythmus getreten seyn werde, weil man im p1c_389.004
Gesange bald wahrnimmt, welcher Vocal mehr Länge und p1c_389.005
mehr Kürze seiner Natur nach haben kann. Mehrere neuere p1c_389.006
Nazionen haben demungeachtet noch jetzt nichts weiter als p1c_389.007
die Sylbenzahl, woran sie sich halten, und sind durch p1c_389.008
ihre Nachlässigkeit in Absicht auf die Quantität ganz unmusikalisch. p1c_389.009
Z. B. die Französische, in deren Gesange viele p1c_389.010
Sylben, z. E. stumme e, unausstehlich producirt werden, p1c_389.011
weswegen auch ihre Componisten bis auf diese Stunde auf p1c_389.012
gar kein metrisches Gesetz Rücksicht nehmen und die Worte p1c_389.013
wider alle Quantität gebrauchen. Gezählte und gereimte p1c_389.014
Verse dieser Art sind freylich ein bloßes Surrogat des Metrums. p1c_389.015
Crescimbeni, der eine Geschichte della volgar p1c_389.016
Poesia
(der Ausdruck: vulgaris poesia, eloquentia p1c_389.017
findet sich in Büchern älterer Zeit sehr häufig) geschrieben p1c_389.018
hat, leitet den Ursprung des heroisches Sylbenmaaßes der p1c_389.019
Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten her. Qūoi p1c_389.020
dōnō lĕpĭdūm nŏvūm̄ lĭbēllūm. Catull Nĕl mēzzō p1c_389.021
dĕl cămmīn dĭ nostra vita – mĭ rītrovāĭ pĕr ūnă p1c_389.022
sēlvă oscūră. Dante. Che se venissĕ ălcūno ĭn p1c_389.023
qūestŏ lūogŏ. Trissin
. Allein offenbar zählt Hesperiens p1c_389.024
Lied nur die Laute, um mit Klopstock zu reden. Denn p1c_389.025
die kurzen Sylben werden großentheils elidirt, so bleiben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0447" n="389"/><lb n="p1c_389.001"/>
später erfunden. Jndessen läßt die Verbindung mit der <lb n="p1c_389.002"/>
Musik vermuthen, daß bald eine Art Takt an die Stelle <lb n="p1c_389.003"/>
des freyen Rhythmus getreten seyn werde, weil man im <lb n="p1c_389.004"/>
Gesange bald wahrnimmt, welcher Vocal mehr Länge und <lb n="p1c_389.005"/>
mehr Kürze seiner Natur nach haben kann. Mehrere neuere <lb n="p1c_389.006"/>
Nazionen haben demungeachtet noch jetzt nichts weiter als <lb n="p1c_389.007"/>
die <hi rendition="#g">Sylbenzahl,</hi> woran sie sich halten, und sind durch <lb n="p1c_389.008"/>
ihre Nachlässigkeit in Absicht auf die Quantität ganz unmusikalisch. <lb n="p1c_389.009"/>
Z. B. die Französische, in deren Gesange viele <lb n="p1c_389.010"/> <hi rendition="#g">Sylben,</hi> z. E. stumme <hi rendition="#aq">e</hi>, unausstehlich producirt werden, <lb n="p1c_389.011"/>
weswegen auch ihre Componisten bis auf diese Stunde auf <lb n="p1c_389.012"/>
gar kein metrisches Gesetz Rücksicht nehmen und die Worte <lb n="p1c_389.013"/>
wider alle Quantität gebrauchen. Gezählte und gereimte <lb n="p1c_389.014"/>
Verse dieser Art sind freylich ein bloßes Surrogat des Metrums. <lb n="p1c_389.015"/>
Crescimbeni, der eine Geschichte <hi rendition="#aq">della volgar <lb n="p1c_389.016"/>
Poesia</hi> (der Ausdruck: <hi rendition="#aq">vulgaris poesia, eloquentia</hi> <lb n="p1c_389.017"/>
findet sich in Büchern älterer Zeit sehr häufig) geschrieben <lb n="p1c_389.018"/>
hat, leitet den Ursprung des heroisches Sylbenmaaßes der <lb n="p1c_389.019"/>
Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten her. <hi rendition="#aq">Q&#x016B;oi <lb n="p1c_389.020"/>
d&#x014D;n&#x014D; l&#x0115;p&#x012D;d&#x016B;m n&#x014F;v&#x016B;m&#x0304; l&#x012D;b&#x0113;ll&#x016B;m. <hi rendition="#g">Catull</hi> N&#x0115;l m&#x0113;zz&#x014D; <lb n="p1c_389.021"/>
d&#x0115;l c&#x0103;mm&#x012B;n d&#x012D; nostra vita &#x2013; m&#x012D; r&#x012B;trov&#x0101;&#x012D; p&#x0115;r &#x016B;n&#x0103; <lb n="p1c_389.022"/>
s&#x0113;lv&#x0103; osc&#x016B;r&#x0103;. <hi rendition="#g">Dante.</hi> Che se veniss&#x0115; &#x0103;lc&#x016B;no &#x012D;n <lb n="p1c_389.023"/>
q&#x016B;est&#x014F; l&#x016B;og&#x014F;. <hi rendition="#g">Trissin</hi></hi>. Allein offenbar zählt Hesperiens <lb n="p1c_389.024"/>
Lied nur die Laute, um mit Klopstock zu reden. Denn <lb n="p1c_389.025"/>
die kurzen Sylben werden großentheils elidirt, so bleiben
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0447] p1c_389.001 später erfunden. Jndessen läßt die Verbindung mit der p1c_389.002 Musik vermuthen, daß bald eine Art Takt an die Stelle p1c_389.003 des freyen Rhythmus getreten seyn werde, weil man im p1c_389.004 Gesange bald wahrnimmt, welcher Vocal mehr Länge und p1c_389.005 mehr Kürze seiner Natur nach haben kann. Mehrere neuere p1c_389.006 Nazionen haben demungeachtet noch jetzt nichts weiter als p1c_389.007 die Sylbenzahl, woran sie sich halten, und sind durch p1c_389.008 ihre Nachlässigkeit in Absicht auf die Quantität ganz unmusikalisch. p1c_389.009 Z. B. die Französische, in deren Gesange viele p1c_389.010 Sylben, z. E. stumme e, unausstehlich producirt werden, p1c_389.011 weswegen auch ihre Componisten bis auf diese Stunde auf p1c_389.012 gar kein metrisches Gesetz Rücksicht nehmen und die Worte p1c_389.013 wider alle Quantität gebrauchen. Gezählte und gereimte p1c_389.014 Verse dieser Art sind freylich ein bloßes Surrogat des Metrums. p1c_389.015 Crescimbeni, der eine Geschichte della volgar p1c_389.016 Poesia (der Ausdruck: vulgaris poesia, eloquentia p1c_389.017 findet sich in Büchern älterer Zeit sehr häufig) geschrieben p1c_389.018 hat, leitet den Ursprung des heroisches Sylbenmaaßes der p1c_389.019 Jtaliener aus den Hendecasyllaben der Alten her. Qūoi p1c_389.020 dōnō lĕpĭdūm nŏvūm̄ lĭbēllūm. Catull Nĕl mēzzō p1c_389.021 dĕl cămmīn dĭ nostra vita – mĭ rītrovāĭ pĕr ūnă p1c_389.022 sēlvă oscūră. Dante. Che se venissĕ ălcūno ĭn p1c_389.023 qūestŏ lūogŏ. Trissin. Allein offenbar zählt Hesperiens p1c_389.024 Lied nur die Laute, um mit Klopstock zu reden. Denn p1c_389.025 die kurzen Sylben werden großentheils elidirt, so bleiben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/447
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/447>, abgerufen am 23.11.2024.