Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_357.001
Bin ich dir sam du selbe dir, so volge mir ze diser p1c_357.002
Frist - Dieweil du lebest es ist dir guot - Ob p1c_357.003
dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie p1c_357.004
er ist gemuot
. Hier herrscht großentheils der jambische p1c_357.005
Takt, allein es giebt auch kürzere und längere Reihen, die p1c_357.006
nicht nach dem Metrum, sondern nach einem freyen Rhythmus p1c_357.007
bestimmt sind. 5) Da der Reim rhythmische Reihen p1c_357.008
bezeichnet, die sich auf einander beziehen, so dürfen diese p1c_357.009
nicht so lang seyn, daß das Ohr sie nicht mehr fassen kann. p1c_357.010
Der Reim darf also nicht zu lang verschoben werden. Die p1c_357.011
einzelnen Reihen, die der Reim verbindet, müssen einander p1c_357.012
proportionirt seyn. Ein Reim, der zu spät wiederkehrt, p1c_357.013
wenn das Ohr die Beziehung vergessen hat, ist unnütz. p1c_357.014
Eine Nazion hat zwar mehr Fassungskraft und Aufmerksamkeit p1c_357.015
in Ansehung der Reime als die andre. Jndessen p1c_357.016
giebt es doch hier ein gewisses Maaß für jedes Ohr. Zudem p1c_357.017
ist ja das Musikalische der Poesie Nebensache. Wenn p1c_357.018
das Gesetz des Reims schwer zu fassen ist, vergißt man den p1c_357.019
Gedanken darüber, und es wird aus der Poesie eine Spielerey, p1c_357.020
ein musikalisches Kunststück. Die Jtaliener verschieben p1c_357.021
ihre Reime weit. Sie haben ein größer Talent als p1c_357.022
andre Nazionen, das Musikalische der Poesie zu fassen. p1c_357.023
Jndessen ist doch der Reim bey ihnen durch eine gewisse Ordnung p1c_357.024
unterstützt. Di pensier in pensier, di monte in p1c_357.025
monte, - mi guida Amor, ch'ogni segnato calle p1c_357.026
- provo contrario a la tranquilla vita. - Se'n p1c_357.027
solitaria piaggia rivo o fonte s'en fra duo poggi p1c_357.028
siede ombroso valle, ivi s'acqueta l'alma sbigot-

p1c_357.001
Bin ich dir sam du selbe dir, so volge mir ze diser p1c_357.002
Frist ─ Dieweil du lebest es ist dir guot ─ Ob p1c_357.003
dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie p1c_357.004
er ist gemuot
. Hier herrscht großentheils der jambische p1c_357.005
Takt, allein es giebt auch kürzere und längere Reihen, die p1c_357.006
nicht nach dem Metrum, sondern nach einem freyen Rhythmus p1c_357.007
bestimmt sind. 5) Da der Reim rhythmische Reihen p1c_357.008
bezeichnet, die sich auf einander beziehen, so dürfen diese p1c_357.009
nicht so lang seyn, daß das Ohr sie nicht mehr fassen kann. p1c_357.010
Der Reim darf also nicht zu lang verschoben werden. Die p1c_357.011
einzelnen Reihen, die der Reim verbindet, müssen einander p1c_357.012
proportionirt seyn. Ein Reim, der zu spät wiederkehrt, p1c_357.013
wenn das Ohr die Beziehung vergessen hat, ist unnütz. p1c_357.014
Eine Nazion hat zwar mehr Fassungskraft und Aufmerksamkeit p1c_357.015
in Ansehung der Reime als die andre. Jndessen p1c_357.016
giebt es doch hier ein gewisses Maaß für jedes Ohr. Zudem p1c_357.017
ist ja das Musikalische der Poesie Nebensache. Wenn p1c_357.018
das Gesetz des Reims schwer zu fassen ist, vergißt man den p1c_357.019
Gedanken darüber, und es wird aus der Poesie eine Spielerey, p1c_357.020
ein musikalisches Kunststück. Die Jtaliener verschieben p1c_357.021
ihre Reime weit. Sie haben ein größer Talent als p1c_357.022
andre Nazionen, das Musikalische der Poesie zu fassen. p1c_357.023
Jndessen ist doch der Reim bey ihnen durch eine gewisse Ordnung p1c_357.024
unterstützt. Di pensier in pensier, di monte in p1c_357.025
monte, ─ mi guida Amor, ch'ogni segnato calle p1c_357.026
─ provo contrario a la tranquilla vita. ─ Se'n p1c_357.027
solitaria piaggia rivo o fonte s'en fra duo poggi p1c_357.028
siede ombroso valle, ivi s'acqueta l'alma sbigot-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0415" n="357"/><lb n="p1c_357.001"/>
Bin ich dir sam du selbe dir, so volge mir ze diser <lb n="p1c_357.002"/>
Frist &#x2500; Dieweil du lebest es ist dir guot &#x2500; Ob <lb n="p1c_357.003"/>
dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie <lb n="p1c_357.004"/>
er ist gemuot</hi>. Hier herrscht großentheils der jambische <lb n="p1c_357.005"/>
Takt, allein es giebt auch kürzere und längere Reihen, die <lb n="p1c_357.006"/>
nicht nach dem Metrum, sondern nach einem freyen Rhythmus <lb n="p1c_357.007"/>
bestimmt sind. 5) Da der Reim rhythmische Reihen <lb n="p1c_357.008"/>
bezeichnet, die sich auf einander beziehen, so dürfen diese <lb n="p1c_357.009"/>
nicht so lang seyn, daß das Ohr sie nicht mehr fassen kann. <lb n="p1c_357.010"/>
Der Reim darf also nicht zu lang verschoben werden. Die <lb n="p1c_357.011"/>
einzelnen Reihen, die der Reim verbindet, müssen einander <lb n="p1c_357.012"/>
proportionirt seyn. Ein Reim, der zu spät wiederkehrt, <lb n="p1c_357.013"/>
wenn das Ohr die Beziehung vergessen hat, ist unnütz. <lb n="p1c_357.014"/>
Eine Nazion hat zwar mehr Fassungskraft und Aufmerksamkeit <lb n="p1c_357.015"/>
in Ansehung der Reime als die andre. Jndessen <lb n="p1c_357.016"/>
giebt es doch hier ein gewisses Maaß für jedes Ohr. Zudem <lb n="p1c_357.017"/>
ist ja das Musikalische der Poesie <hi rendition="#g">Nebensache.</hi> Wenn <lb n="p1c_357.018"/>
das Gesetz des Reims schwer zu fassen ist, vergißt man den <lb n="p1c_357.019"/>
Gedanken darüber, und es wird aus der Poesie eine Spielerey, <lb n="p1c_357.020"/>
ein musikalisches Kunststück. Die Jtaliener verschieben <lb n="p1c_357.021"/>
ihre Reime weit. Sie haben ein größer Talent als <lb n="p1c_357.022"/>
andre Nazionen, das Musikalische der Poesie zu fassen. <lb n="p1c_357.023"/>
Jndessen ist doch der Reim bey ihnen durch eine gewisse Ordnung <lb n="p1c_357.024"/>
unterstützt. <hi rendition="#aq">Di pensier in pensier, di monte in <lb n="p1c_357.025"/> <hi rendition="#g">monte,</hi> &#x2500; mi guida Amor, ch'ogni segnato <hi rendition="#g">calle</hi> <lb n="p1c_357.026"/>
&#x2500; provo contrario a la tranquilla <hi rendition="#g">vita.</hi> &#x2500; Se'n <lb n="p1c_357.027"/>
solitaria piaggia rivo o <hi rendition="#g">fonte</hi> s'en fra duo poggi <lb n="p1c_357.028"/>
siede ombroso <hi rendition="#g">valle,</hi> ivi s'acqueta l'alma <hi rendition="#g">sbigot-
</hi></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[357/0415] p1c_357.001 Bin ich dir sam du selbe dir, so volge mir ze diser p1c_357.002 Frist ─ Dieweil du lebest es ist dir guot ─ Ob p1c_357.003 dich ein Frömder ziehen sol, du weist nicht, wie p1c_357.004 er ist gemuot. Hier herrscht großentheils der jambische p1c_357.005 Takt, allein es giebt auch kürzere und längere Reihen, die p1c_357.006 nicht nach dem Metrum, sondern nach einem freyen Rhythmus p1c_357.007 bestimmt sind. 5) Da der Reim rhythmische Reihen p1c_357.008 bezeichnet, die sich auf einander beziehen, so dürfen diese p1c_357.009 nicht so lang seyn, daß das Ohr sie nicht mehr fassen kann. p1c_357.010 Der Reim darf also nicht zu lang verschoben werden. Die p1c_357.011 einzelnen Reihen, die der Reim verbindet, müssen einander p1c_357.012 proportionirt seyn. Ein Reim, der zu spät wiederkehrt, p1c_357.013 wenn das Ohr die Beziehung vergessen hat, ist unnütz. p1c_357.014 Eine Nazion hat zwar mehr Fassungskraft und Aufmerksamkeit p1c_357.015 in Ansehung der Reime als die andre. Jndessen p1c_357.016 giebt es doch hier ein gewisses Maaß für jedes Ohr. Zudem p1c_357.017 ist ja das Musikalische der Poesie Nebensache. Wenn p1c_357.018 das Gesetz des Reims schwer zu fassen ist, vergißt man den p1c_357.019 Gedanken darüber, und es wird aus der Poesie eine Spielerey, p1c_357.020 ein musikalisches Kunststück. Die Jtaliener verschieben p1c_357.021 ihre Reime weit. Sie haben ein größer Talent als p1c_357.022 andre Nazionen, das Musikalische der Poesie zu fassen. p1c_357.023 Jndessen ist doch der Reim bey ihnen durch eine gewisse Ordnung p1c_357.024 unterstützt. Di pensier in pensier, di monte in p1c_357.025 monte, ─ mi guida Amor, ch'ogni segnato calle p1c_357.026 ─ provo contrario a la tranquilla vita. ─ Se'n p1c_357.027 solitaria piaggia rivo o fonte s'en fra duo poggi p1c_357.028 siede ombroso valle, ivi s'acqueta l'alma sbigot-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/415
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/415>, abgerufen am 23.11.2024.