Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_345.001
überhaupt im Werden. Sie stellt ihre Worte so, daß p1c_345.002
dadurch die Natur anschaulich nachgeahmt wird. Doch darf p1c_345.003
ein besonders mahlerischer Wortausdruck nur bey Beschreibungen p1c_345.004
Statt finden, wo man voraussetzen kann, daß die p1c_345.005
Aufmerksamkeit auf das Sinnliche gerichtet ist. Continuo p1c_345.006
ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt agitata p1c_345.007
tumescere et aridus altis montibus audiri fragor, aut p1c_345.008
resonantia longe littora misceri, et nemorum increbrescere p1c_345.009
murmur. Virg
. Die vielen r würden vielleicht p1c_345.010
an einem andern Orte als Uebelklang angesehen werden, hier p1c_345.011
verlangt sie aber der Tonausdruck. "Schmettert ein Donnerwagen p1c_345.012
auf tausend Rädern herunter" - Eklagxan p1c_345.013
d' ar oistoi ep omon khoomenoio. - Wenn der Schall, p1c_345.014
der nachgeahmt wird, an sich zu einer ästhetischen Empfindung p1c_345.015
Anlaß giebt, so ist es nicht gerade Absicht, aber es p1c_345.016
ist dem Dichter natürlich, daß er ihn nachahmt. Wenn p1c_345.017
aber der Schall in der Natur selbst gleichgültig ist, so ist es p1c_345.018
eine unnütze Spielerey, wie die Mahlereyen in der Musik. p1c_345.019
Zum Scherz kann wohl ein Musiker z. B. ein Stück setzen, p1c_345.020
das eine Schlittenfahrt ausdrückt. Niemand wird aber dergleichen p1c_345.021
in einem höhern Kunstwerk dulden. Es würde fehlerhaft p1c_345.022
seyn, wenn Virgil das Laufen Eines Pferdes mit p1c_345.023
dem bekannten dem Ennius nachgebildeten Verse: Quadrupedante p1c_345.024
putrem sonitu quatit ungula campum
, ausgedrückt p1c_345.025
hätte. Allein die Vorstellung wird eines Heldengedichts p1c_345.026
würdig, da die Worte agmine facto vorangehen p1c_345.027
und von einem ganzen equitatu die Rede ist.

p1c_345.001
überhaupt im Werden. Sie stellt ihre Worte so, daß p1c_345.002
dadurch die Natur anschaulich nachgeahmt wird. Doch darf p1c_345.003
ein besonders mahlerischer Wortausdruck nur bey Beschreibungen p1c_345.004
Statt finden, wo man voraussetzen kann, daß die p1c_345.005
Aufmerksamkeit auf das Sinnliche gerichtet ist. Continuo p1c_345.006
ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt agitata p1c_345.007
tumescere et aridus altis montibus audiri fragor, aut p1c_345.008
resonantia longe littora misceri, et nemorum increbrescere p1c_345.009
murmur. Virg
. Die vielen r würden vielleicht p1c_345.010
an einem andern Orte als Uebelklang angesehen werden, hier p1c_345.011
verlangt sie aber der Tonausdruck. „Schmettert ein Donnerwagen p1c_345.012
auf tausend Rädern herunter“ ─ Ἐκλαγξαν p1c_345.013
δ' ἀρ οἰϛοι ἐπ ὠμων χωομενοιο. ─ Wenn der Schall, p1c_345.014
der nachgeahmt wird, an sich zu einer ästhetischen Empfindung p1c_345.015
Anlaß giebt, so ist es nicht gerade Absicht, aber es p1c_345.016
ist dem Dichter natürlich, daß er ihn nachahmt. Wenn p1c_345.017
aber der Schall in der Natur selbst gleichgültig ist, so ist es p1c_345.018
eine unnütze Spielerey, wie die Mahlereyen in der Musik. p1c_345.019
Zum Scherz kann wohl ein Musiker z. B. ein Stück setzen, p1c_345.020
das eine Schlittenfahrt ausdrückt. Niemand wird aber dergleichen p1c_345.021
in einem höhern Kunstwerk dulden. Es würde fehlerhaft p1c_345.022
seyn, wenn Virgil das Laufen Eines Pferdes mit p1c_345.023
dem bekannten dem Ennius nachgebildeten Verse: Quadrupedante p1c_345.024
putrem sonitu quatit ungula campum
, ausgedrückt p1c_345.025
hätte. Allein die Vorstellung wird eines Heldengedichts p1c_345.026
würdig, da die Worte agmine facto vorangehen p1c_345.027
und von einem ganzen equitatu die Rede ist.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0403" n="345"/><lb n="p1c_345.001"/>
überhaupt im Werden. Sie stellt ihre Worte so, daß <lb n="p1c_345.002"/>
dadurch die Natur anschaulich nachgeahmt wird. Doch darf <lb n="p1c_345.003"/>
ein besonders mahlerischer Wortausdruck nur bey Beschreibungen <lb n="p1c_345.004"/>
Statt finden, wo man voraussetzen kann, daß die <lb n="p1c_345.005"/>
Aufmerksamkeit auf das Sinnliche gerichtet ist. <hi rendition="#aq">Continuo <lb n="p1c_345.006"/>
ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt agitata <lb n="p1c_345.007"/>
tumescere et aridus altis montibus audiri fragor, aut <lb n="p1c_345.008"/>
resonantia longe littora misceri, et nemorum increbrescere <lb n="p1c_345.009"/>
murmur. <hi rendition="#g">Virg</hi></hi>. Die vielen <hi rendition="#aq">r</hi> würden vielleicht <lb n="p1c_345.010"/>
an einem andern Orte als Uebelklang angesehen werden, hier <lb n="p1c_345.011"/>
verlangt sie aber der Tonausdruck. &#x201E;Schmettert ein Donnerwagen <lb n="p1c_345.012"/>
auf tausend Rädern herunter&#x201C; &#x2500; <foreign xml:lang="grc">&#x1F18;&#x03BA;&#x03BB;&#x03B1;&#x03B3;&#x03BE;&#x03B1;&#x03BD;</foreign> <lb n="p1c_345.013"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03B4;' &#x1F00;&#x03C1; &#x03BF;&#x1F30;&#x03DB;&#x03BF;&#x03B9; &#x1F10;&#x03C0; &#x1F60;&#x03BC;&#x03C9;&#x03BD; &#x03C7;&#x03C9;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BF;</foreign>. &#x2500; Wenn der Schall, <lb n="p1c_345.014"/>
der nachgeahmt wird, an sich zu einer ästhetischen Empfindung <lb n="p1c_345.015"/>
Anlaß giebt, so ist es nicht gerade Absicht, aber es <lb n="p1c_345.016"/>
ist dem Dichter natürlich, daß er ihn nachahmt. Wenn <lb n="p1c_345.017"/>
aber der Schall in der Natur selbst gleichgültig ist, so ist es <lb n="p1c_345.018"/>
eine unnütze Spielerey, wie die Mahlereyen in der Musik. <lb n="p1c_345.019"/>
Zum Scherz kann wohl ein Musiker z. B. ein Stück setzen, <lb n="p1c_345.020"/>
das eine Schlittenfahrt ausdrückt. Niemand wird aber dergleichen <lb n="p1c_345.021"/>
in einem höhern Kunstwerk dulden. Es würde fehlerhaft <lb n="p1c_345.022"/>
seyn, wenn Virgil das Laufen Eines Pferdes mit <lb n="p1c_345.023"/>
dem bekannten dem Ennius nachgebildeten Verse: <hi rendition="#aq">Quadrupedante <lb n="p1c_345.024"/>
putrem sonitu quatit ungula campum</hi>, ausgedrückt <lb n="p1c_345.025"/>
hätte. Allein die Vorstellung wird eines Heldengedichts <lb n="p1c_345.026"/>
würdig, da die Worte <hi rendition="#aq">agmine facto</hi> vorangehen <lb n="p1c_345.027"/>
und von einem ganzen <hi rendition="#aq">equitatu</hi> die Rede ist.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0403] p1c_345.001 überhaupt im Werden. Sie stellt ihre Worte so, daß p1c_345.002 dadurch die Natur anschaulich nachgeahmt wird. Doch darf p1c_345.003 ein besonders mahlerischer Wortausdruck nur bey Beschreibungen p1c_345.004 Statt finden, wo man voraussetzen kann, daß die p1c_345.005 Aufmerksamkeit auf das Sinnliche gerichtet ist. Continuo p1c_345.006 ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt agitata p1c_345.007 tumescere et aridus altis montibus audiri fragor, aut p1c_345.008 resonantia longe littora misceri, et nemorum increbrescere p1c_345.009 murmur. Virg. Die vielen r würden vielleicht p1c_345.010 an einem andern Orte als Uebelklang angesehen werden, hier p1c_345.011 verlangt sie aber der Tonausdruck. „Schmettert ein Donnerwagen p1c_345.012 auf tausend Rädern herunter“ ─ Ἐκλαγξαν p1c_345.013 δ' ἀρ οἰϛοι ἐπ ὠμων χωομενοιο. ─ Wenn der Schall, p1c_345.014 der nachgeahmt wird, an sich zu einer ästhetischen Empfindung p1c_345.015 Anlaß giebt, so ist es nicht gerade Absicht, aber es p1c_345.016 ist dem Dichter natürlich, daß er ihn nachahmt. Wenn p1c_345.017 aber der Schall in der Natur selbst gleichgültig ist, so ist es p1c_345.018 eine unnütze Spielerey, wie die Mahlereyen in der Musik. p1c_345.019 Zum Scherz kann wohl ein Musiker z. B. ein Stück setzen, p1c_345.020 das eine Schlittenfahrt ausdrückt. Niemand wird aber dergleichen p1c_345.021 in einem höhern Kunstwerk dulden. Es würde fehlerhaft p1c_345.022 seyn, wenn Virgil das Laufen Eines Pferdes mit p1c_345.023 dem bekannten dem Ennius nachgebildeten Verse: Quadrupedante p1c_345.024 putrem sonitu quatit ungula campum, ausgedrückt p1c_345.025 hätte. Allein die Vorstellung wird eines Heldengedichts p1c_345.026 würdig, da die Worte agmine facto vorangehen p1c_345.027 und von einem ganzen equitatu die Rede ist.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/403
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/403>, abgerufen am 27.11.2024.