p1c_297.001 Hassen, nur zum Lieben," sagt Antigone nach der Uebersetzung p1c_297.002 von Opitz. "Du hast eine heiße Seele bey kalten p1c_297.003 Dingen," sagt Antigones Schwester zu ebenderselben. - p1c_297.004 "Jn einem kleinen Gefäß bringen wir den großen Körper," p1c_297.005 sagen die Männer mit der Urne des Orests. - Durch den p1c_297.006 Contrast wird das Starke, Heftige sehr herausgehoben, p1c_297.007 und es bildet sich leichter die Empfindung des Erhabenen. p1c_297.008 Bey unwichtigen Dingen dagegen ist die Antithese ein p1c_297.009 müßiges Gedanken- und Wortspiel, wie. z. B. wenn der p1c_297.010 phulax im Sophocles sagt: so wurde aus einem kurzenp1c_297.011 Weg ein langer. Dies zeugt von zu viel Besonnenheit p1c_297.012 des Verstandes, und der Verstand soll bey der gewöhnlichen p1c_297.013 dichterischen Sprache nur eine versteckte Rolle haben. Blos p1c_297.014 in dem Augenblick der höchsten Empfindung tritt er zuweilen p1c_297.015 hervor, und erweckt durch einen hellen Contrast die Wehmuth p1c_297.016 in ihrer ganzen Stärke. Beym Scherzhaften und p1c_297.017 wo das Niedliche verlangt wird, z. B. in Epigrammen, p1c_297.018 haben die Antithesen ein völliges Bürgerrecht. Sie vermehren p1c_297.019 die Lebhaftigkeit des Scherzes, oder stellen mit wenigen p1c_297.020 Worten ein systematisches Ganze, eine dem Verstand p1c_297.021 gefällige Totalität dar. So spricht Romeo im ersten Akt p1c_297.022 von der Liebe in sehr wirksamen Antithesen. Denn seine p1c_297.023 ganze Stimmung giebt ihm Zeit zu so einem Verstandesspiele. p1c_297.024 Allerdings ist die Liebe auch der beste Gegenstand, p1c_297.025 um Widersprüche und Gegensätze darzustellen, weil ihr ganzes p1c_297.026 Wesen in einem Gegensatze besteht, der sich immer aufzuheben p1c_297.027 strebt. O brawling love, o loving hate, o p1c_297.028 any thing, of nothing first create! O heavy light-
p1c_297.001 Hassen, nur zum Lieben,“ sagt Antigone nach der Uebersetzung p1c_297.002 von Opitz. „Du hast eine heiße Seele bey kalten p1c_297.003 Dingen,“ sagt Antigones Schwester zu ebenderselben. ─ p1c_297.004 „Jn einem kleinen Gefäß bringen wir den großen Körper,“ p1c_297.005 sagen die Männer mit der Urne des Orests. ─ Durch den p1c_297.006 Contrast wird das Starke, Heftige sehr herausgehoben, p1c_297.007 und es bildet sich leichter die Empfindung des Erhabenen. p1c_297.008 Bey unwichtigen Dingen dagegen ist die Antithese ein p1c_297.009 müßiges Gedanken- und Wortspiel, wie. z. B. wenn der p1c_297.010 φυλαξ im Sophocles sagt: so wurde aus einem kurzenp1c_297.011 Weg ein langer. Dies zeugt von zu viel Besonnenheit p1c_297.012 des Verstandes, und der Verstand soll bey der gewöhnlichen p1c_297.013 dichterischen Sprache nur eine versteckte Rolle haben. Blos p1c_297.014 in dem Augenblick der höchsten Empfindung tritt er zuweilen p1c_297.015 hervor, und erweckt durch einen hellen Contrast die Wehmuth p1c_297.016 in ihrer ganzen Stärke. Beym Scherzhaften und p1c_297.017 wo das Niedliche verlangt wird, z. B. in Epigrammen, p1c_297.018 haben die Antithesen ein völliges Bürgerrecht. Sie vermehren p1c_297.019 die Lebhaftigkeit des Scherzes, oder stellen mit wenigen p1c_297.020 Worten ein systematisches Ganze, eine dem Verstand p1c_297.021 gefällige Totalität dar. So spricht Romeo im ersten Akt p1c_297.022 von der Liebe in sehr wirksamen Antithesen. Denn seine p1c_297.023 ganze Stimmung giebt ihm Zeit zu so einem Verstandesspiele. p1c_297.024 Allerdings ist die Liebe auch der beste Gegenstand, p1c_297.025 um Widersprüche und Gegensätze darzustellen, weil ihr ganzes p1c_297.026 Wesen in einem Gegensatze besteht, der sich immer aufzuheben p1c_297.027 strebt. O brawling love, o loving hate, o p1c_297.028 any thing, of nothing first create! O heavy light-
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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