p1c_277.001 brauchen sollte." - Gewiß fehlt daher dem Baum unsrer p1c_277.002 Sprache dadurch etwas an Laub. Sogar Herze beleidigt, p1c_277.003 ungeachtet man das noch hier und da findet. Man p1c_277.004 fängt itzt wieder an, die Selbstlaute und überhaupt die ältere p1c_277.005 Sprache einzuführen. Ob mit Erfolg wird die Zukunft lehren. p1c_277.006 - Billig sollte doch auch dem deutschen Dichter ein p1c_277.007 eigener Dialekt gestattet seyn, wie z. B. den Hebräern, die, p1c_277.008 sobald ihre Sprache numerös wird, Sylben hinzusetzen, wegwerfen, p1c_277.009 und paragogicas particulas gebrauchen. Griechen p1c_277.010 und Lateiner haben in der Dichtkunst ihre eigene freyere p1c_277.011 Declination und Conjugation. Lavis für lavas. Ulysseip1c_277.012 für Ulyssis. - c) Ferner sucht die poetische Sprache ihr p1c_277.013 Anschauliches Werden darinnen, daß sie keinen Begriff leicht p1c_277.014 allein setzt. Sie giebt ihm ein Epitheton oder Beywortp1c_277.015 zu, das seine individuellen Eigenschaften näher ausdrückt, p1c_277.016 ohne doch ein eigentlich nothwendiges Attribut zu p1c_277.017 seyn. Vorzüglich thun dies Homer, die epischen und Jdyllendichter, p1c_277.018 und jeder Gegenstand behält dann sein Epitheton p1c_277.019 durchaus. podas okus Akhilleus u. s. w. Dadurch aber p1c_277.020 wird man am Ende so daran gewöhnt, daß gar nichts mehr p1c_277.021 dabey gedacht wird, und man es mehr als nomen proprium, p1c_277.022 als einen leeren Wortklang anhört. Diese Simplicität p1c_277.023 ist also nicht durchgängig und unbedingt anzunehmen, p1c_277.024 obwohl es in unsern hexametrischen Gedichten jetzt geschieht. p1c_277.025 Wenigstens wird damit wenig poetisches Leben gewonnen. p1c_277.026 Die Poesie bey kultivirten Völkern muß sehr sparsam mit p1c_277.027 dergleichen Gemälden seyn. Ueber die müßigen Epitheta p1c_277.028 macht sich Boileau in einer Epitre an Moliere lustig. -
p1c_277.001 brauchen sollte.“ ─ Gewiß fehlt daher dem Baum unsrer p1c_277.002 Sprache dadurch etwas an Laub. Sogar Herze beleidigt, p1c_277.003 ungeachtet man das noch hier und da findet. Man p1c_277.004 fängt itzt wieder an, die Selbstlaute und überhaupt die ältere p1c_277.005 Sprache einzuführen. Ob mit Erfolg wird die Zukunft lehren. p1c_277.006 ─ Billig sollte doch auch dem deutschen Dichter ein p1c_277.007 eigener Dialekt gestattet seyn, wie z. B. den Hebräern, die, p1c_277.008 sobald ihre Sprache numerös wird, Sylben hinzusetzen, wegwerfen, p1c_277.009 und paragogicas particulas gebrauchen. Griechen p1c_277.010 und Lateiner haben in der Dichtkunst ihre eigene freyere p1c_277.011 Declination und Conjugation. Lavis für lavas. Ulysseip1c_277.012 für Ulyssis. ─ c) Ferner sucht die poetische Sprache ihr p1c_277.013 Anschauliches Werden darinnen, daß sie keinen Begriff leicht p1c_277.014 allein setzt. Sie giebt ihm ein Epitheton oder Beywortp1c_277.015 zu, das seine individuellen Eigenschaften näher ausdrückt, p1c_277.016 ohne doch ein eigentlich nothwendiges Attribut zu p1c_277.017 seyn. Vorzüglich thun dies Homer, die epischen und Jdyllendichter, p1c_277.018 und jeder Gegenstand behält dann sein Epitheton p1c_277.019 durchaus. ποδας ὠκυς Ἀχιλλευς u. s. w. Dadurch aber p1c_277.020 wird man am Ende so daran gewöhnt, daß gar nichts mehr p1c_277.021 dabey gedacht wird, und man es mehr als nomen proprium, p1c_277.022 als einen leeren Wortklang anhört. Diese Simplicität p1c_277.023 ist also nicht durchgängig und unbedingt anzunehmen, p1c_277.024 obwohl es in unsern hexametrischen Gedichten jetzt geschieht. p1c_277.025 Wenigstens wird damit wenig poetisches Leben gewonnen. p1c_277.026 Die Poesie bey kultivirten Völkern muß sehr sparsam mit p1c_277.027 dergleichen Gemälden seyn. Ueber die müßigen Epitheta p1c_277.028 macht sich Boileau in einer Epitre an Moliere lustig. ─
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/335>, abgerufen am 25.11.2024.
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