Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_272.001
der Dichter ein und eben die Sache mit verschiedenen Wörtern p1c_272.002
ausdrückt. Man muß dies Verfahren nicht mit dem p1c_272.003
tropischen Verfahren der Einbildungkraft verwechseln, p1c_272.004
von dem wir weiter oben sprachen. Bey der Synonymie p1c_272.005
sind die Gegenstände einer Art, bey den periphrastischen p1c_272.006
oder metaphorischen Tropen werden Gegenstände ganz p1c_272.007
verschiedner Art, für einander gesetzt. [Annotation]

Diese Verwechslung p1c_272.008
begeht Scaliger in seiner Poetic L. IV. c. 32. wenn p1c_272.009
er als Beyspiele von Synonymie die Verse anführt: Omnes p1c_272.010
unde Amor iste rogant, Galle, quid insanis? - p1c_272.011
certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas, seu quicunque p1c_272.012
furor
. Hier steht effectus pro causa, also ein p1c_272.013
ganz andrer Gegenstand. Freylich werden nach und nach p1c_272.014
die Synonyme der Sprache durch das tropische Verfahren p1c_272.015
bereichert. Man wird nach und nach Segel für Schiff, p1c_272.016
aequora für mare setzen, ohne mehr an eine Synecdoche p1c_272.017
zu denken. Aber unterschieden bleiben diese Dinge doch p1c_272.018
ihrer Natur nach. Besonders wird die dichterische Sprache, p1c_272.019
um ihre Synonymie zu bereichern, diejenigen Tropen aufsuchen, p1c_272.020
welche mehr Anschauung als Begriff geben. p1c_272.021
Da nun eine Theilvorstellung immer mehr Anschaulichkeit p1c_272.022
hat, als das Ganze, da die Paraphrasis mehr Anschaulichkeit p1c_272.023
giebt, als das, was umschrieben wird, da die p1c_272.024
von sinnlichen Gegenständen hergenommene Metapher oft p1c_272.025
lebhafter ist, als der geistige Gegenstand, der eigentlich gemeynt p1c_272.026
wird, so behandelt die dichterische Sprache, der Anschaulichkeit p1c_272.027
wegen, eben diese tropischen Ausdrücke als Synonymen. [Annotation] p1c_272.028
b) Zweytens wird die dichterische Sprache, um

p1c_272.001
der Dichter ein und eben die Sache mit verschiedenen Wörtern p1c_272.002
ausdrückt. Man muß dies Verfahren nicht mit dem p1c_272.003
tropischen Verfahren der Einbildungkraft verwechseln, p1c_272.004
von dem wir weiter oben sprachen. Bey der Synonymie p1c_272.005
sind die Gegenstände einer Art, bey den periphrastischen p1c_272.006
oder metaphorischen Tropen werden Gegenstände ganz p1c_272.007
verschiedner Art, für einander gesetzt. [Annotation]

Diese Verwechslung p1c_272.008
begeht Scaliger in seiner Poetic L. IV. c. 32. wenn p1c_272.009
er als Beyspiele von Synonymie die Verse anführt: Omnes p1c_272.010
unde Amor iste rogant, Galle, quid insanis? ─ p1c_272.011
certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas, seu quicunque p1c_272.012
furor
. Hier steht effectus pro causa, also ein p1c_272.013
ganz andrer Gegenstand. Freylich werden nach und nach p1c_272.014
die Synonyme der Sprache durch das tropische Verfahren p1c_272.015
bereichert. Man wird nach und nach Segel für Schiff, p1c_272.016
aequora für mare setzen, ohne mehr an eine Synecdoche p1c_272.017
zu denken. Aber unterschieden bleiben diese Dinge doch p1c_272.018
ihrer Natur nach. Besonders wird die dichterische Sprache, p1c_272.019
um ihre Synonymie zu bereichern, diejenigen Tropen aufsuchen, p1c_272.020
welche mehr Anschauung als Begriff geben. p1c_272.021
Da nun eine Theilvorstellung immer mehr Anschaulichkeit p1c_272.022
hat, als das Ganze, da die Paraphrasis mehr Anschaulichkeit p1c_272.023
giebt, als das, was umschrieben wird, da die p1c_272.024
von sinnlichen Gegenständen hergenommene Metapher oft p1c_272.025
lebhafter ist, als der geistige Gegenstand, der eigentlich gemeynt p1c_272.026
wird, so behandelt die dichterische Sprache, der Anschaulichkeit p1c_272.027
wegen, eben diese tropischen Ausdrücke als Synonymen. [Annotation] p1c_272.028
b) Zweytens wird die dichterische Sprache, um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0330" n="272"/><lb n="p1c_272.001"/>
der Dichter ein und eben die Sache mit verschiedenen Wörtern <lb n="p1c_272.002"/>
ausdrückt. Man muß dies Verfahren nicht mit dem <lb n="p1c_272.003"/> <hi rendition="#g">tropischen</hi> Verfahren der Einbildungkraft verwechseln, <lb n="p1c_272.004"/>
von dem wir weiter oben sprachen. <anchor xml:id="cl1063"/> Bey der Synonymie <lb n="p1c_272.005"/>
sind die Gegenstände <hi rendition="#g">einer</hi> Art, bey den periphrastischen <lb n="p1c_272.006"/>
oder metaphorischen Tropen werden <hi rendition="#g">Gegenstände</hi> ganz <lb n="p1c_272.007"/>
verschiedner Art, für einander gesetzt. <anchor xml:id="cl1064"/> <note targetEnd="cl1064" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-0" target="cl1063"/> Diese Verwechslung <lb n="p1c_272.008"/>
begeht Scaliger in seiner <hi rendition="#aq">Poetic L. IV. c</hi>. 32. wenn <lb n="p1c_272.009"/>
er als Beyspiele von Synonymie die Verse anführt: <hi rendition="#aq">Omnes <lb n="p1c_272.010"/>
unde Amor iste rogant, Galle, quid insanis? &#x2500; <lb n="p1c_272.011"/>
certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas, seu quicunque <lb n="p1c_272.012"/>
furor</hi>. Hier steht <hi rendition="#aq">effectus pro causa</hi>, also ein <lb n="p1c_272.013"/>
ganz andrer Gegenstand. Freylich werden nach und nach <lb n="p1c_272.014"/>
die Synonyme der Sprache durch das tropische Verfahren <lb n="p1c_272.015"/>
bereichert. Man wird nach und nach <hi rendition="#g">Segel</hi> für <hi rendition="#g">Schiff,</hi> <lb n="p1c_272.016"/> <hi rendition="#aq">aequora</hi> für <hi rendition="#aq">mare</hi> setzen, ohne mehr an eine Synecdoche <lb n="p1c_272.017"/>
zu denken. Aber unterschieden bleiben diese Dinge doch <lb n="p1c_272.018"/>
ihrer Natur nach. <anchor xml:id="cl1065"/> Besonders wird die dichterische Sprache, <lb n="p1c_272.019"/>
um ihre Synonymie zu bereichern, diejenigen <hi rendition="#g">Tropen</hi> aufsuchen, <lb n="p1c_272.020"/>
welche mehr <hi rendition="#g">Anschauung</hi> als <hi rendition="#g">Begriff</hi> geben. <lb n="p1c_272.021"/>
Da nun eine <hi rendition="#g">Theilvorstellung</hi> immer mehr Anschaulichkeit <lb n="p1c_272.022"/>
hat, als das Ganze, da die Paraphrasis mehr Anschaulichkeit <lb n="p1c_272.023"/>
giebt, als das, was umschrieben wird, da die <lb n="p1c_272.024"/>
von sinnlichen Gegenständen hergenommene Metapher oft <lb n="p1c_272.025"/>
lebhafter ist, als der geistige Gegenstand, der eigentlich gemeynt <lb n="p1c_272.026"/>
wird, so behandelt die dichterische Sprache, der Anschaulichkeit <lb n="p1c_272.027"/>
wegen, eben diese tropischen Ausdrücke als Synonymen. <anchor xml:id="cl1066"/> <note targetEnd="cl1066" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-0" target="cl1065">     Periphrase als Synonym zur Metapher (wegen erhöhter Anschaulichkeit) </note> <lb n="p1c_272.028"/> <hi rendition="#aq">b</hi>) Zweytens wird die dichterische Sprache, um
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0330] p1c_272.001 der Dichter ein und eben die Sache mit verschiedenen Wörtern p1c_272.002 ausdrückt. Man muß dies Verfahren nicht mit dem p1c_272.003 tropischen Verfahren der Einbildungkraft verwechseln, p1c_272.004 von dem wir weiter oben sprachen. Bey der Synonymie p1c_272.005 sind die Gegenstände einer Art, bey den periphrastischen p1c_272.006 oder metaphorischen Tropen werden Gegenstände ganz p1c_272.007 verschiedner Art, für einander gesetzt. Diese Verwechslung p1c_272.008 begeht Scaliger in seiner Poetic L. IV. c. 32. wenn p1c_272.009 er als Beyspiele von Synonymie die Verse anführt: Omnes p1c_272.010 unde Amor iste rogant, Galle, quid insanis? ─ p1c_272.011 certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas, seu quicunque p1c_272.012 furor. Hier steht effectus pro causa, also ein p1c_272.013 ganz andrer Gegenstand. Freylich werden nach und nach p1c_272.014 die Synonyme der Sprache durch das tropische Verfahren p1c_272.015 bereichert. Man wird nach und nach Segel für Schiff, p1c_272.016 aequora für mare setzen, ohne mehr an eine Synecdoche p1c_272.017 zu denken. Aber unterschieden bleiben diese Dinge doch p1c_272.018 ihrer Natur nach. Besonders wird die dichterische Sprache, p1c_272.019 um ihre Synonymie zu bereichern, diejenigen Tropen aufsuchen, p1c_272.020 welche mehr Anschauung als Begriff geben. p1c_272.021 Da nun eine Theilvorstellung immer mehr Anschaulichkeit p1c_272.022 hat, als das Ganze, da die Paraphrasis mehr Anschaulichkeit p1c_272.023 giebt, als das, was umschrieben wird, da die p1c_272.024 von sinnlichen Gegenständen hergenommene Metapher oft p1c_272.025 lebhafter ist, als der geistige Gegenstand, der eigentlich gemeynt p1c_272.026 wird, so behandelt die dichterische Sprache, der Anschaulichkeit p1c_272.027 wegen, eben diese tropischen Ausdrücke als Synonymen. Periphrase als Synonym zur Metapher (wegen erhöhter Anschaulichkeit) p1c_272.028 b) Zweytens wird die dichterische Sprache, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/330
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/330>, abgerufen am 25.11.2024.