Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_213.001
, wie Plutarch sagt, diejenigen herauszufinden, welche p1c_213.002
die Jdeen der innern Gesetzlichkeit überhaupt nothwendig p1c_213.003
geben und das Jdeale darstellen müssen. Die p1c_213.004
Phantasie, die dem Verstande nur gezwungen und träge p1c_213.005
dient, bewegt sich in der Begeisterung rythmisch und p1c_213.006
nach freyer Gesetzlichkeit, und läßt in Zusammensetzung ihrer p1c_213.007
Bilder eine geheime Harmonie mit der idealen Einheit p1c_213.008
der Vernunftanlagen ahnen. Die Phantasie vermag es p1c_213.009
nur in der Begeisterung die Gedanken aufzufinden, welche, p1c_213.010
ungeachtet einer sie beherrschenden Haupteinheit, so p1c_213.011
reichhaltig an Nebenideen sind, daß dadurch eine ganze Gegend p1c_213.012
des Vorstellungsvermögens hell wird. Wie sich die p1c_213.013
Seele im Traum, wenn unser Wille das Steuerruder verlohren p1c_213.014
hat, ihre Vorstellungen von selbst zusammen reiht p1c_213.015
und zwar nach einer gewissen Ordnung, weil sie durch die p1c_213.016
Anstrengungen des Tags an eine ordentliche Gedankenverbindung p1c_213.017
gewöhnt war, eben so erfindet sich die Phantasie in p1c_213.018
der Begeisterung, wenn sie von den Fesseln des Verstandes p1c_213.019
frey wird, genialisch spielend von selbst eine höhere Ordnung, p1c_213.020
die gleich der im Traume etwas Geheimnißvolles und Mystisches p1c_213.021
hat. Da nun die Begeisterung eine außerordentliche p1c_213.022
Gemüthsstimmung ist, so muß jedes Mittel angewandt p1c_213.023
werden, um die Phantasie zur Lebendigkeit zu reitzen. Die p1c_213.024
schöne Gedankenreihe muß daher alles zu berühren wissen, p1c_213.025
was die Vorstellkraft in Thätigkeit zu setzen pflegt. Dahin p1c_213.026
gehört jede Art angenehmer Empfindungen, Neigungen und p1c_213.027
Leidenschaften, selbst das Unangenehme, in so fern wir es p1c_213.028
mit Heftigkeit verabschenn, dahin gehört alles neue Ueberraschende

p1c_213.001
, wie Plutarch sagt, diejenigen herauszufinden, welche p1c_213.002
die Jdeen der innern Gesetzlichkeit überhaupt nothwendig p1c_213.003
geben und das Jdeale darstellen müssen. Die p1c_213.004
Phantasie, die dem Verstande nur gezwungen und träge p1c_213.005
dient, bewegt sich in der Begeisterung rythmisch und p1c_213.006
nach freyer Gesetzlichkeit, und läßt in Zusammensetzung ihrer p1c_213.007
Bilder eine geheime Harmonie mit der idealen Einheit p1c_213.008
der Vernunftanlagen ahnen. Die Phantasie vermag es p1c_213.009
nur in der Begeisterung die Gedanken aufzufinden, welche, p1c_213.010
ungeachtet einer sie beherrschenden Haupteinheit, so p1c_213.011
reichhaltig an Nebenideen sind, daß dadurch eine ganze Gegend p1c_213.012
des Vorstellungsvermögens hell wird. Wie sich die p1c_213.013
Seele im Traum, wenn unser Wille das Steuerruder verlohren p1c_213.014
hat, ihre Vorstellungen von selbst zusammen reiht p1c_213.015
und zwar nach einer gewissen Ordnung, weil sie durch die p1c_213.016
Anstrengungen des Tags an eine ordentliche Gedankenverbindung p1c_213.017
gewöhnt war, eben so erfindet sich die Phantasie in p1c_213.018
der Begeisterung, wenn sie von den Fesseln des Verstandes p1c_213.019
frey wird, genialisch spielend von selbst eine höhere Ordnung, p1c_213.020
die gleich der im Traume etwas Geheimnißvolles und Mystisches p1c_213.021
hat. Da nun die Begeisterung eine außerordentliche p1c_213.022
Gemüthsstimmung ist, so muß jedes Mittel angewandt p1c_213.023
werden, um die Phantasie zur Lebendigkeit zu reitzen. Die p1c_213.024
schöne Gedankenreihe muß daher alles zu berühren wissen, p1c_213.025
was die Vorstellkraft in Thätigkeit zu setzen pflegt. Dahin p1c_213.026
gehört jede Art angenehmer Empfindungen, Neigungen und p1c_213.027
Leidenschaften, selbst das Unangenehme, in so fern wir es p1c_213.028
mit Heftigkeit verabschenn, dahin gehört alles neue Ueberraschende

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="213"/><lb n="p1c_213.001"/>
, wie Plutarch sagt, diejenigen herauszufinden, welche <lb n="p1c_213.002"/>
die <hi rendition="#g">Jdeen</hi> der innern <hi rendition="#g">Gesetzlichkeit</hi> überhaupt nothwendig <lb n="p1c_213.003"/>
geben und das <hi rendition="#g">Jdeale</hi> darstellen müssen. Die <lb n="p1c_213.004"/>
Phantasie, die dem Verstande nur gezwungen und träge <lb n="p1c_213.005"/>
dient, bewegt sich in der Begeisterung <hi rendition="#g">rythmisch</hi> und <lb n="p1c_213.006"/>
nach freyer Gesetzlichkeit, und läßt in Zusammensetzung ihrer <lb n="p1c_213.007"/>
Bilder eine geheime <hi rendition="#g">Harmonie</hi> mit der idealen Einheit <lb n="p1c_213.008"/>
der Vernunftanlagen ahnen. Die <hi rendition="#g">Phantasie</hi> vermag es <lb n="p1c_213.009"/>
nur in der <hi rendition="#g">Begeisterung</hi> die Gedanken aufzufinden, welche, <lb n="p1c_213.010"/>
ungeachtet einer sie beherrschenden Haupteinheit, so <lb n="p1c_213.011"/>
reichhaltig an Nebenideen sind, daß dadurch eine ganze Gegend <lb n="p1c_213.012"/>
des Vorstellungsvermögens hell wird. Wie sich die <lb n="p1c_213.013"/>
Seele im Traum, wenn unser Wille das Steuerruder verlohren <lb n="p1c_213.014"/>
hat, ihre Vorstellungen von selbst zusammen reiht <lb n="p1c_213.015"/>
und zwar nach einer gewissen Ordnung, weil sie durch die <lb n="p1c_213.016"/>
Anstrengungen des Tags an eine ordentliche Gedankenverbindung <lb n="p1c_213.017"/>
gewöhnt war, eben so erfindet sich die Phantasie in <lb n="p1c_213.018"/>
der Begeisterung, wenn sie von den Fesseln des Verstandes <lb n="p1c_213.019"/>
frey wird, genialisch spielend von selbst eine höhere Ordnung, <lb n="p1c_213.020"/>
die gleich der im Traume etwas Geheimnißvolles und Mystisches <lb n="p1c_213.021"/>
hat. Da nun die Begeisterung eine außerordentliche <lb n="p1c_213.022"/>
Gemüthsstimmung ist, so muß jedes Mittel angewandt <lb n="p1c_213.023"/>
werden, um die Phantasie zur Lebendigkeit zu reitzen. Die <lb n="p1c_213.024"/> <hi rendition="#g">schöne</hi> Gedankenreihe muß daher alles zu berühren wissen, <lb n="p1c_213.025"/>
was die Vorstellkraft in Thätigkeit zu setzen pflegt. Dahin <lb n="p1c_213.026"/>
gehört jede Art angenehmer Empfindungen, Neigungen und <lb n="p1c_213.027"/>
Leidenschaften, selbst das Unangenehme, in so fern wir es     <lb n="p1c_213.028"/>
mit Heftigkeit verabschenn, dahin gehört alles neue Ueberraschende
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0271] p1c_213.001 , wie Plutarch sagt, diejenigen herauszufinden, welche p1c_213.002 die Jdeen der innern Gesetzlichkeit überhaupt nothwendig p1c_213.003 geben und das Jdeale darstellen müssen. Die p1c_213.004 Phantasie, die dem Verstande nur gezwungen und träge p1c_213.005 dient, bewegt sich in der Begeisterung rythmisch und p1c_213.006 nach freyer Gesetzlichkeit, und läßt in Zusammensetzung ihrer p1c_213.007 Bilder eine geheime Harmonie mit der idealen Einheit p1c_213.008 der Vernunftanlagen ahnen. Die Phantasie vermag es p1c_213.009 nur in der Begeisterung die Gedanken aufzufinden, welche, p1c_213.010 ungeachtet einer sie beherrschenden Haupteinheit, so p1c_213.011 reichhaltig an Nebenideen sind, daß dadurch eine ganze Gegend p1c_213.012 des Vorstellungsvermögens hell wird. Wie sich die p1c_213.013 Seele im Traum, wenn unser Wille das Steuerruder verlohren p1c_213.014 hat, ihre Vorstellungen von selbst zusammen reiht p1c_213.015 und zwar nach einer gewissen Ordnung, weil sie durch die p1c_213.016 Anstrengungen des Tags an eine ordentliche Gedankenverbindung p1c_213.017 gewöhnt war, eben so erfindet sich die Phantasie in p1c_213.018 der Begeisterung, wenn sie von den Fesseln des Verstandes p1c_213.019 frey wird, genialisch spielend von selbst eine höhere Ordnung, p1c_213.020 die gleich der im Traume etwas Geheimnißvolles und Mystisches p1c_213.021 hat. Da nun die Begeisterung eine außerordentliche p1c_213.022 Gemüthsstimmung ist, so muß jedes Mittel angewandt p1c_213.023 werden, um die Phantasie zur Lebendigkeit zu reitzen. Die p1c_213.024 schöne Gedankenreihe muß daher alles zu berühren wissen, p1c_213.025 was die Vorstellkraft in Thätigkeit zu setzen pflegt. Dahin p1c_213.026 gehört jede Art angenehmer Empfindungen, Neigungen und p1c_213.027 Leidenschaften, selbst das Unangenehme, in so fern wir es p1c_213.028 mit Heftigkeit verabschenn, dahin gehört alles neue Ueberraschende

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/271
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/271>, abgerufen am 27.11.2024.