Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.p1c_194.001 p1c_194.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0252" n="194"/><lb n="p1c_194.001"/> unverletzte Gestalt der Göttlichkeit. Man kann das <hi rendition="#g">Naive</hi> <lb n="p1c_194.002"/> daher auch das <hi rendition="#g">idyllisch</hi> Schöne nennen. Denn es setzt <lb n="p1c_194.003"/> einen Zustand des goldenen Zeitalters voraus, in dem der <lb n="p1c_194.004"/> Mensch noch nicht durch freye Erkenntniß und Leidenschaften <lb n="p1c_194.005"/> seine Jnnerstes entzweyt hat. Wir nennen es auch das <lb n="p1c_194.006"/> <hi rendition="#g">jungfräulich Schöne,</hi> weil es der Charakter der <lb n="p1c_194.007"/> Jungfräulichkeit ist, sich selbst genug zu seyn, und in der <lb n="p1c_194.008"/> eignen Blüte Jdealität und Natur vereinigt zu finden. So <lb n="p1c_194.009"/> erscheint Anadyomene, die neugeborene Venus, die aus <lb n="p1c_194.010"/> dem Meere steigt. Bey den Hebräern ist die <hi rendition="#g">Naivität</hi> <lb n="p1c_194.011"/> noch ohne Kultur und Feinheit. Die Geschichte der Erzväter <lb n="p1c_194.012"/> und das Buch Ruth sind ins besondre hier anzuführen. <lb n="p1c_194.013"/> Die Einfachheit der Sprache thut hier sehr viel. Was kann <lb n="p1c_194.014"/> naiver seyn, als der Anfang von Ruth: „Es war in den <lb n="p1c_194.015"/> Tagen der Richter, und es war eine Theurung <hi rendition="#g">im Lande</hi> <lb n="p1c_194.016"/> [<foreign xml:lang="hbo">‎צראב‏‎</foreign>] ─ So setzen die Kinder voraus, jeder wisse, wovon <lb n="p1c_194.017"/> die Rede sey. ─ Jn der größten Vollendung zeigt sich <lb n="p1c_194.018"/> diese Empfindung bey den Griechen. Naiv in seinen Schilderungen <lb n="p1c_194.019"/> ist Hesiodus (z. B. <foreign xml:lang="grc">εργα</foreign>. <hi rendition="#aq">vs. 110 seq</hi>.) und vorzüglich <lb n="p1c_194.020"/> Homer. Siehe z. E. die Stelle im fünften Buch der <lb n="p1c_194.021"/> Jlias <hi rendition="#aq">vs</hi>. 335. wo die Venus ihren Sohn Aeneas mit ihrem <lb n="p1c_194.022"/> glänzenden Gewand schützt und vom Diomed verwundet <lb n="p1c_194.023"/> wird. <foreign xml:lang="grc">εἰθαρ δε δορυ χροος ἀντετορησεν ἀμβροσιου δια</foreign> <lb n="p1c_194.024"/> <foreign xml:lang="grc">πεπλου, ὁν οἱ χαριτες καμον αὐται πρυμνον ὑπερ θεναρρος·</foreign> <lb n="p1c_194.025"/> <foreign xml:lang="grc">ῥεε δ' ἀμβροτον αἱμα θεοῖο, ἰχωρ, οἱος περ τε</foreign> <lb n="p1c_194.026"/> <foreign xml:lang="grc">ρεει μακαρρεσσι θεοῖσιν</foreign> ─ <foreign xml:lang="grc">ἡ δε μεγα ἰαχουσα ἀπο ἑο</foreign> <lb n="p1c_194.027"/> <foreign xml:lang="grc">καββαλεν ὑιον</foreign>. ─ Und Aphrodite wird aus der Schlacht <lb n="p1c_194.028"/> geführt, fällt in den Schoos der Dione, ihrer Mutter. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [194/0252]
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unverletzte Gestalt der Göttlichkeit. Man kann das Naive p1c_194.002
daher auch das idyllisch Schöne nennen. Denn es setzt p1c_194.003
einen Zustand des goldenen Zeitalters voraus, in dem der p1c_194.004
Mensch noch nicht durch freye Erkenntniß und Leidenschaften p1c_194.005
seine Jnnerstes entzweyt hat. Wir nennen es auch das p1c_194.006
jungfräulich Schöne, weil es der Charakter der p1c_194.007
Jungfräulichkeit ist, sich selbst genug zu seyn, und in der p1c_194.008
eignen Blüte Jdealität und Natur vereinigt zu finden. So p1c_194.009
erscheint Anadyomene, die neugeborene Venus, die aus p1c_194.010
dem Meere steigt. Bey den Hebräern ist die Naivität p1c_194.011
noch ohne Kultur und Feinheit. Die Geschichte der Erzväter p1c_194.012
und das Buch Ruth sind ins besondre hier anzuführen. p1c_194.013
Die Einfachheit der Sprache thut hier sehr viel. Was kann p1c_194.014
naiver seyn, als der Anfang von Ruth: „Es war in den p1c_194.015
Tagen der Richter, und es war eine Theurung im Lande p1c_194.016
[צראב] ─ So setzen die Kinder voraus, jeder wisse, wovon p1c_194.017
die Rede sey. ─ Jn der größten Vollendung zeigt sich p1c_194.018
diese Empfindung bey den Griechen. Naiv in seinen Schilderungen p1c_194.019
ist Hesiodus (z. B. εργα. vs. 110 seq.) und vorzüglich p1c_194.020
Homer. Siehe z. E. die Stelle im fünften Buch der p1c_194.021
Jlias vs. 335. wo die Venus ihren Sohn Aeneas mit ihrem p1c_194.022
glänzenden Gewand schützt und vom Diomed verwundet p1c_194.023
wird. εἰθαρ δε δορυ χροος ἀντετορησεν ἀμβροσιου δια p1c_194.024
πεπλου, ὁν οἱ χαριτες καμον αὐται πρυμνον ὑπερ θεναρρος· p1c_194.025
ῥεε δ' ἀμβροτον αἱμα θεοῖο, ἰχωρ, οἱος περ τε p1c_194.026
ρεει μακαρρεσσι θεοῖσιν ─ ἡ δε μεγα ἰαχουσα ἀπο ἑο p1c_194.027
καββαλεν ὑιον. ─ Und Aphrodite wird aus der Schlacht p1c_194.028
geführt, fällt in den Schoos der Dione, ihrer Mutter.
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