p1c_189.001 die Menschen plage, so lautet das sreylich anders, als die p1c_189.002 gewöhnlichen Formeln in den Testamenten, wo die Seele p1c_189.003 dem Himmel empfohlen wird. Die Laune ist der eigentliche p1c_189.004 Charakter der Phantasie, welche die in Begriffen p1c_189.005 eingezwängte Wahrheit verachtet und nach neuen Ansichten p1c_189.006 ringt. Verbindet sich die Laune mit Festigkeit des Wahrheitsgefühls, p1c_189.007 so bringt sie nicht blose Paradoxien hervor, p1c_189.008 sondern sie kann eine sehr wirksame Lehrerin der Menschen p1c_189.009 werden, indem sie zeigt, daß das Wahre selbst unter der p1c_189.010 sonderbarsten Ansicht doch immer wahr bleibt. Unter allen p1c_189.011 Nazionen scheint der Engländer am meisten Laune zu haben. p1c_189.012 Er liebt Gemüthsstimmungen, z. B. den Spleen, p1c_189.013 von denen sich kein Grund angeben läßt. Dieß giebt auch p1c_189.014 sonderbare poetische Ansichten. Shakespears Personen haben p1c_189.015 viel genialische Laune. Sie scherzen und spielen p1c_189.016 mit den wichtigsten Dingen, und das macht oft ästhetischen p1c_189.017 Effekt. Zuweilen sagt der launige Mensch nur das gewöhnlich p1c_189.018 Wahre. Aber weil man das hier just nicht erwartete, p1c_189.019 fällt es auf. So sagt Gonzalo beym Schiffbruch im p1c_189.020 Tempest: Now would i give a thousand furlongs of p1c_189.021 sea for an acre of barren ground. Wie viel Laune ist p1c_189.022 nicht im Polonius, Merkutio, Fallstaff und andern Personen p1c_189.023 des dramatischen Dichters. Besonders ist den Englischen p1c_189.024 Romanschreibern, den Verfassern des Tristram Shandy, p1c_189.025 der empfindsamen Reisen, des Peregrine Pikle, des p1c_189.026 Tom Jones, Joseph Andrews u. s. w. Laune eigen. Nur p1c_189.027 sind die chaotischen Außerungen dieser Laune zuweilen zu p1c_189.028 gedehnt, um dem reinen Menschengefühl genießbar, und
p1c_189.001 die Menschen plage, so lautet das sreylich anders, als die p1c_189.002 gewöhnlichen Formeln in den Testamenten, wo die Seele p1c_189.003 dem Himmel empfohlen wird. Die Laune ist der eigentliche p1c_189.004 Charakter der Phantasie, welche die in Begriffen p1c_189.005 eingezwängte Wahrheit verachtet und nach neuen Ansichten p1c_189.006 ringt. Verbindet sich die Laune mit Festigkeit des Wahrheitsgefühls, p1c_189.007 so bringt sie nicht blose Paradoxien hervor, p1c_189.008 sondern sie kann eine sehr wirksame Lehrerin der Menschen p1c_189.009 werden, indem sie zeigt, daß das Wahre selbst unter der p1c_189.010 sonderbarsten Ansicht doch immer wahr bleibt. Unter allen p1c_189.011 Nazionen scheint der Engländer am meisten Laune zu haben. p1c_189.012 Er liebt Gemüthsstimmungen, z. B. den Spleen, p1c_189.013 von denen sich kein Grund angeben läßt. Dieß giebt auch p1c_189.014 sonderbare poetische Ansichten. Shakespears Personen haben p1c_189.015 viel genialische Laune. Sie scherzen und spielen p1c_189.016 mit den wichtigsten Dingen, und das macht oft ästhetischen p1c_189.017 Effekt. Zuweilen sagt der launige Mensch nur das gewöhnlich p1c_189.018 Wahre. Aber weil man das hier just nicht erwartete, p1c_189.019 fällt es auf. So sagt Gonzalo beym Schiffbruch im p1c_189.020 Tempest: Now would i give a thousand furlongs of p1c_189.021 sea for an acre of barren ground. Wie viel Laune ist p1c_189.022 nicht im Polonius, Merkutio, Fallstaff und andern Personen p1c_189.023 des dramatischen Dichters. Besonders ist den Englischen p1c_189.024 Romanschreibern, den Verfassern des Tristram Shandy, p1c_189.025 der empfindsamen Reisen, des Peregrine Pikle, des p1c_189.026 Tom Jones, Joseph Andrews u. s. w. Laune eigen. Nur p1c_189.027 sind die chaotischen Außerungen dieser Laune zuweilen zu p1c_189.028 gedehnt, um dem reinen Menschengefühl genießbar, und
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/247>, abgerufen am 27.11.2024.
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