Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_185.001
lustig ist) und andere mehr. Die bittere Satyre zeugt p1c_185.002
von zu viel Leidenschaft und zugleich Schwäche, sie empört p1c_185.003
zu sehr den, welchen sie trifft um wirksam zu seyn. Dagegen p1c_185.004
zeugt die lustige am meisten von Geistesenergie. p1c_185.005
Wenn sie sich mit gutem Willen vereinigt, kann sie zu einer p1c_185.006
Zeit, wo das Lächerliche der einzige Donnerkeil ist, vor den p1c_185.007
sich unsterbliche Geister fürchten, sehr nützen. - Bittere p1c_185.008
Satyre
zeugt von eigener Verdorbenheit, die sich gern p1c_185.009
mit dem Schlechten unterhält. Man sehe z. B. wie Aristophanes p1c_185.010
und Boileau das weibliche Geschlecht in dem Joche p1c_185.011
der Ehe schildern. Ersterer (z. B. Thesmophoriazus. p1c_185.012
Scen. II
.) überschreitet hier wirklich alle Gränzen der Sittlichkeit p1c_185.013
und zugleich der Kunst, und schon daraus ist es klar, p1c_185.014
daß sein Publikum nur aus Männern bestand. Jm Juvenal p1c_185.015
jedoch nähert sich das Lächerliche vermöge der p1c_185.016
energischen heftigen Bitterkeit nicht selten dem höhern p1c_185.017
Schönen. Ueberhaupt findet sich das Lächerliche auch p1c_185.018
zuweilen als integrirende Theilvorstellung beym höhern p1c_185.019
Schönen. Wir haben davon schon ein Beyspiel oben gehabt, p1c_185.020
die lachenden Freyer in der Odyssee. Man sehe p1c_185.021
manche Kupferstiche Hogarths, wo er z. B. ein Narrenhaus p1c_185.022
darstellt. Da sitzt einer in einem dunkeln Käfter auf Stroh p1c_185.023
halb nakt mit Krone und Zepter, und andre fatastisch gekleidet p1c_185.024
nach andern fixen Jdeen. Der Kontrast bringt uns p1c_185.025
zum Lachen. Aber es ist ein Lachen des bittersten Entsezzens. p1c_185.026
Eben dieß geschieht, wenn Juvenal in der vierten p1c_185.027
Satyre ein Senatorisches Consilium, das die Welt regieren p1c_185.028
sollte, berathschlagen läßt, wie ein Fisch zu sieden sey.

p1c_185.001
lustig ist) und andere mehr. Die bittere Satyre zeugt p1c_185.002
von zu viel Leidenschaft und zugleich Schwäche, sie empört p1c_185.003
zu sehr den, welchen sie trifft um wirksam zu seyn. Dagegen p1c_185.004
zeugt die lustige am meisten von Geistesenergie. p1c_185.005
Wenn sie sich mit gutem Willen vereinigt, kann sie zu einer p1c_185.006
Zeit, wo das Lächerliche der einzige Donnerkeil ist, vor den p1c_185.007
sich unsterbliche Geister fürchten, sehr nützen. ─ Bittere p1c_185.008
Satyre
zeugt von eigener Verdorbenheit, die sich gern p1c_185.009
mit dem Schlechten unterhält. Man sehe z. B. wie Aristophanes p1c_185.010
und Boileau das weibliche Geschlecht in dem Joche p1c_185.011
der Ehe schildern. Ersterer (z. B. Thesmophoriazus. p1c_185.012
Scen. II
.) überschreitet hier wirklich alle Gränzen der Sittlichkeit p1c_185.013
und zugleich der Kunst, und schon daraus ist es klar, p1c_185.014
daß sein Publikum nur aus Männern bestand. Jm Juvenal p1c_185.015
jedoch nähert sich das Lächerliche vermöge der p1c_185.016
energischen heftigen Bitterkeit nicht selten dem höhern p1c_185.017
Schönen. Ueberhaupt findet sich das Lächerliche auch p1c_185.018
zuweilen als integrirende Theilvorstellung beym höhern p1c_185.019
Schönen. Wir haben davon schon ein Beyspiel oben gehabt, p1c_185.020
die lachenden Freyer in der Odyssee. Man sehe p1c_185.021
manche Kupferstiche Hogarths, wo er z. B. ein Narrenhaus p1c_185.022
darstellt. Da sitzt einer in einem dunkeln Käfter auf Stroh p1c_185.023
halb nakt mit Krone und Zepter, und andre fatastisch gekleidet p1c_185.024
nach andern fixen Jdeen. Der Kontrast bringt uns p1c_185.025
zum Lachen. Aber es ist ein Lachen des bittersten Entsezzens. p1c_185.026
Eben dieß geschieht, wenn Juvenal in der vierten p1c_185.027
Satyre ein Senatorisches Consilium, das die Welt regieren p1c_185.028
sollte, berathschlagen läßt, wie ein Fisch zu sieden sey.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0243" n="185"/><lb n="p1c_185.001"/>
lustig ist) und andere mehr. Die <hi rendition="#g">bittere</hi> Satyre zeugt <lb n="p1c_185.002"/>
von zu viel Leidenschaft und zugleich Schwäche, sie empört <lb n="p1c_185.003"/>
zu sehr den, welchen sie trifft um wirksam zu seyn. Dagegen <lb n="p1c_185.004"/>
zeugt die <hi rendition="#g">lustige</hi> am meisten von Geistesenergie. <lb n="p1c_185.005"/>
Wenn sie sich mit gutem Willen vereinigt, kann sie zu einer <lb n="p1c_185.006"/>
Zeit, wo das Lächerliche der einzige Donnerkeil ist, vor den <lb n="p1c_185.007"/>
sich unsterbliche Geister fürchten, sehr nützen. &#x2500; <hi rendition="#g">Bittere <lb n="p1c_185.008"/>
Satyre</hi> zeugt von eigener Verdorbenheit, die sich gern <lb n="p1c_185.009"/>
mit dem Schlechten unterhält. Man sehe z. B. wie Aristophanes <lb n="p1c_185.010"/>
und Boileau das weibliche Geschlecht in dem Joche <lb n="p1c_185.011"/>
der Ehe schildern. Ersterer (z. B. <hi rendition="#aq">Thesmophoriazus. <lb n="p1c_185.012"/>
Scen. II</hi>.) überschreitet hier wirklich alle Gränzen der Sittlichkeit <lb n="p1c_185.013"/>
und zugleich der Kunst, und schon daraus ist es klar, <lb n="p1c_185.014"/>
daß sein Publikum nur aus Männern bestand. Jm <hi rendition="#g">Juvenal</hi> <lb n="p1c_185.015"/>
jedoch nähert sich das <hi rendition="#g">Lächerliche</hi> vermöge der <lb n="p1c_185.016"/>
energischen heftigen Bitterkeit nicht selten dem <hi rendition="#g">höhern</hi> <lb n="p1c_185.017"/>
Schönen. Ueberhaupt findet sich das <hi rendition="#g">Lächerliche</hi> auch <lb n="p1c_185.018"/>
zuweilen als integrirende Theilvorstellung beym <hi rendition="#g">höhern</hi> <lb n="p1c_185.019"/>
Schönen. Wir haben davon schon ein Beyspiel oben gehabt, <lb n="p1c_185.020"/>
die lachenden Freyer in der Odyssee. Man sehe <lb n="p1c_185.021"/>
manche Kupferstiche Hogarths, wo er z. B. ein Narrenhaus <lb n="p1c_185.022"/>
darstellt. Da sitzt einer in einem dunkeln Käfter auf Stroh <lb n="p1c_185.023"/>
halb nakt mit Krone und Zepter, und andre fatastisch gekleidet <lb n="p1c_185.024"/>
nach andern fixen Jdeen. Der Kontrast bringt uns <lb n="p1c_185.025"/>
zum Lachen. Aber es ist ein Lachen des bittersten Entsezzens. <lb n="p1c_185.026"/>
Eben dieß geschieht, wenn Juvenal in der vierten <lb n="p1c_185.027"/>
Satyre ein Senatorisches Consilium, das die Welt regieren <lb n="p1c_185.028"/>
sollte, berathschlagen läßt, wie ein Fisch zu sieden sey.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0243] p1c_185.001 lustig ist) und andere mehr. Die bittere Satyre zeugt p1c_185.002 von zu viel Leidenschaft und zugleich Schwäche, sie empört p1c_185.003 zu sehr den, welchen sie trifft um wirksam zu seyn. Dagegen p1c_185.004 zeugt die lustige am meisten von Geistesenergie. p1c_185.005 Wenn sie sich mit gutem Willen vereinigt, kann sie zu einer p1c_185.006 Zeit, wo das Lächerliche der einzige Donnerkeil ist, vor den p1c_185.007 sich unsterbliche Geister fürchten, sehr nützen. ─ Bittere p1c_185.008 Satyre zeugt von eigener Verdorbenheit, die sich gern p1c_185.009 mit dem Schlechten unterhält. Man sehe z. B. wie Aristophanes p1c_185.010 und Boileau das weibliche Geschlecht in dem Joche p1c_185.011 der Ehe schildern. Ersterer (z. B. Thesmophoriazus. p1c_185.012 Scen. II.) überschreitet hier wirklich alle Gränzen der Sittlichkeit p1c_185.013 und zugleich der Kunst, und schon daraus ist es klar, p1c_185.014 daß sein Publikum nur aus Männern bestand. Jm Juvenal p1c_185.015 jedoch nähert sich das Lächerliche vermöge der p1c_185.016 energischen heftigen Bitterkeit nicht selten dem höhern p1c_185.017 Schönen. Ueberhaupt findet sich das Lächerliche auch p1c_185.018 zuweilen als integrirende Theilvorstellung beym höhern p1c_185.019 Schönen. Wir haben davon schon ein Beyspiel oben gehabt, p1c_185.020 die lachenden Freyer in der Odyssee. Man sehe p1c_185.021 manche Kupferstiche Hogarths, wo er z. B. ein Narrenhaus p1c_185.022 darstellt. Da sitzt einer in einem dunkeln Käfter auf Stroh p1c_185.023 halb nakt mit Krone und Zepter, und andre fatastisch gekleidet p1c_185.024 nach andern fixen Jdeen. Der Kontrast bringt uns p1c_185.025 zum Lachen. Aber es ist ein Lachen des bittersten Entsezzens. p1c_185.026 Eben dieß geschieht, wenn Juvenal in der vierten p1c_185.027 Satyre ein Senatorisches Consilium, das die Welt regieren p1c_185.028 sollte, berathschlagen läßt, wie ein Fisch zu sieden sey.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/243
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/243>, abgerufen am 27.11.2024.