Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_164.001
"Er weint zu der Laute der liebenden Wehmuth, hat dich p1c_164.002
säßes Weib, dich an dem öden Gestade, dich, wenn der p1c_164.003
Tag anbrach, dich, wenn er sich neigte, gesungen, trat p1c_164.004
in des Tänarus Schlund, des Abgrunds Thor, in des p1c_164.005
Haynes schwarze Schreckennacht, kam zu den Manen, zum p1c_164.006
grausen Könige, Herzen, die eisern sind den flehenden Menschen. p1c_164.007
- Jtzo kehrt er zurück, den Gefahren entronnen, p1c_164.008
schon athmet nun, nicht länger getrennt, Euridice Lüfte p1c_164.009
der Erde ... Da der Liebe Unbedacht auf einmal den p1c_164.010
Thörigen fesselt, verzeihbar, wenn die Manen verziehn p1c_164.011
(ignoscenda quidem scirent si ignoscere manes). Er p1c_164.012
stand und sah sich vom Tage schon erreicht, uneingedenk, p1c_164.013
ah! erliegend dem Herzen, nach Eurydicen um! Nun, p1c_164.014
war mißlungen sein Mühsal, war gebrochen der Bund mit p1c_164.015
dem eisernen Herrscher" - "Es rufet mir wieder des p1c_164.016
schrecklichen Schicksals Stimme, mir schließt die gebrochenen p1c_164.017
Augen der ewige Schlummer. Lebe wohl, schon reissen p1c_164.018
mich fort umringende Nächte, ach! und die Deine nicht p1c_164.019
streck' ich nach dir die sinkenden Arm' aus." - "Was beginnen? p1c_164.020
Wohin sich wenden nach zweimal geraubter Gattin? p1c_164.021
Welche Thräne gewönn' ihm die Manen? Die Götter, p1c_164.022
welches Flehn? Auch schwamm sie schon kalt in dem Nachen p1c_164.023
des Orkus. Sieben Monden lang (das Saufte p1c_164.024
liebt das Vorausgehn der stärksten Jdee, weil dann die p1c_164.025
schwächere um so leichter nachfolgt; daher ist auch der Trochäus p1c_164.026
für das sanfte Gefühl. - Bey dem Heftigen p1c_164.027
steht oft die Hauptidee zum Schluß) hat er unter bedufteten p1c_164.028
Felsen, meldet die Sag', an der Woge geweint, des verlassenen

p1c_164.001
„Er weint zu der Laute der liebenden Wehmuth, hat dich p1c_164.002
säßes Weib, dich an dem öden Gestade, dich, wenn der p1c_164.003
Tag anbrach, dich, wenn er sich neigte, gesungen, trat p1c_164.004
in des Tänarus Schlund, des Abgrunds Thor, in des p1c_164.005
Haynes schwarze Schreckennacht, kam zu den Manen, zum p1c_164.006
grausen Könige, Herzen, die eisern sind den flehenden Menschen. p1c_164.007
─ Jtzo kehrt er zurück, den Gefahren entronnen, p1c_164.008
schon athmet nun, nicht länger getrennt, Euridice Lüfte p1c_164.009
der Erde ... Da der Liebe Unbedacht auf einmal den p1c_164.010
Thörigen fesselt, verzeihbar, wenn die Manen verziehn p1c_164.011
(ignoscenda quidem scirent si ignoscere manes). Er p1c_164.012
stand und sah sich vom Tage schon erreicht, uneingedenk, p1c_164.013
ah! erliegend dem Herzen, nach Eurydicen um! Nun, p1c_164.014
war mißlungen sein Mühsal, war gebrochen der Bund mit p1c_164.015
dem eisernen Herrscher“ ─ „Es rufet mir wieder des p1c_164.016
schrecklichen Schicksals Stimme, mir schließt die gebrochenen p1c_164.017
Augen der ewige Schlummer. Lebe wohl, schon reissen p1c_164.018
mich fort umringende Nächte, ach! und die Deine nicht p1c_164.019
streck' ich nach dir die sinkenden Arm' aus.“ ─ „Was beginnen? p1c_164.020
Wohin sich wenden nach zweimal geraubter Gattin? p1c_164.021
Welche Thräne gewönn' ihm die Manen? Die Götter, p1c_164.022
welches Flehn? Auch schwamm sie schon kalt in dem Nachen p1c_164.023
des Orkus. Sieben Monden lang (das Saufte p1c_164.024
liebt das Vorausgehn der stärksten Jdee, weil dann die p1c_164.025
schwächere um so leichter nachfolgt; daher ist auch der Trochäus p1c_164.026
für das sanfte Gefühl. ─ Bey dem Heftigen p1c_164.027
steht oft die Hauptidee zum Schluß) hat er unter bedufteten p1c_164.028
Felsen, meldet die Sag', an der Woge geweint, des verlassenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0222" n="164"/><lb n="p1c_164.001"/>
&#x201E;Er weint zu der Laute der liebenden Wehmuth, hat dich <lb n="p1c_164.002"/>
säßes Weib, dich an dem öden Gestade, dich, wenn der <lb n="p1c_164.003"/>
Tag anbrach, dich, wenn er sich neigte, gesungen, trat <lb n="p1c_164.004"/>
in des Tänarus Schlund, des Abgrunds Thor, in des <lb n="p1c_164.005"/>
Haynes schwarze Schreckennacht, kam zu den Manen, zum <lb n="p1c_164.006"/>
grausen Könige, Herzen, die eisern sind den flehenden Menschen. <lb n="p1c_164.007"/>
&#x2500; Jtzo kehrt er zurück, den Gefahren entronnen, <lb n="p1c_164.008"/>
schon athmet nun, nicht länger getrennt, Euridice Lüfte <lb n="p1c_164.009"/>
der Erde ... Da der Liebe Unbedacht auf einmal den <lb n="p1c_164.010"/>
Thörigen fesselt, verzeihbar, wenn die Manen verziehn <lb n="p1c_164.011"/>
(<hi rendition="#aq">ignoscenda quidem scirent si ignoscere manes</hi>). Er <lb n="p1c_164.012"/>
stand und sah sich vom Tage schon erreicht, uneingedenk, <lb n="p1c_164.013"/>
ah! erliegend dem Herzen, nach Eurydicen um! Nun, <lb n="p1c_164.014"/>
war mißlungen sein Mühsal, war gebrochen der Bund mit <lb n="p1c_164.015"/>
dem eisernen Herrscher&#x201C; &#x2500; &#x201E;Es rufet mir wieder des <lb n="p1c_164.016"/>
schrecklichen Schicksals Stimme, mir schließt die gebrochenen <lb n="p1c_164.017"/>
Augen der ewige Schlummer. Lebe wohl, schon reissen <lb n="p1c_164.018"/>
mich fort umringende Nächte, ach! und die Deine nicht <lb n="p1c_164.019"/>
streck' ich nach dir die sinkenden Arm' aus.&#x201C; &#x2500; &#x201E;Was beginnen? <lb n="p1c_164.020"/>
Wohin sich wenden nach zweimal geraubter Gattin? <lb n="p1c_164.021"/>
Welche Thräne gewönn' ihm die Manen? Die Götter, <lb n="p1c_164.022"/>
welches Flehn? Auch schwamm sie schon kalt in dem Nachen <lb n="p1c_164.023"/>
des Orkus. <hi rendition="#g">Sieben Monden</hi> lang (das <hi rendition="#g">Saufte</hi> <lb n="p1c_164.024"/>
liebt das Vorausgehn der stärksten Jdee, weil dann die <lb n="p1c_164.025"/>
schwächere um so leichter nachfolgt; daher ist auch der Trochäus <lb n="p1c_164.026"/>
für das sanfte Gefühl. &#x2500; Bey dem <hi rendition="#g">Heftigen</hi> <lb n="p1c_164.027"/>
steht oft die Hauptidee zum Schluß) hat er unter bedufteten     <lb n="p1c_164.028"/>
Felsen, meldet die Sag', an der Woge geweint, des verlassenen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0222] p1c_164.001 „Er weint zu der Laute der liebenden Wehmuth, hat dich p1c_164.002 säßes Weib, dich an dem öden Gestade, dich, wenn der p1c_164.003 Tag anbrach, dich, wenn er sich neigte, gesungen, trat p1c_164.004 in des Tänarus Schlund, des Abgrunds Thor, in des p1c_164.005 Haynes schwarze Schreckennacht, kam zu den Manen, zum p1c_164.006 grausen Könige, Herzen, die eisern sind den flehenden Menschen. p1c_164.007 ─ Jtzo kehrt er zurück, den Gefahren entronnen, p1c_164.008 schon athmet nun, nicht länger getrennt, Euridice Lüfte p1c_164.009 der Erde ... Da der Liebe Unbedacht auf einmal den p1c_164.010 Thörigen fesselt, verzeihbar, wenn die Manen verziehn p1c_164.011 (ignoscenda quidem scirent si ignoscere manes). Er p1c_164.012 stand und sah sich vom Tage schon erreicht, uneingedenk, p1c_164.013 ah! erliegend dem Herzen, nach Eurydicen um! Nun, p1c_164.014 war mißlungen sein Mühsal, war gebrochen der Bund mit p1c_164.015 dem eisernen Herrscher“ ─ „Es rufet mir wieder des p1c_164.016 schrecklichen Schicksals Stimme, mir schließt die gebrochenen p1c_164.017 Augen der ewige Schlummer. Lebe wohl, schon reissen p1c_164.018 mich fort umringende Nächte, ach! und die Deine nicht p1c_164.019 streck' ich nach dir die sinkenden Arm' aus.“ ─ „Was beginnen? p1c_164.020 Wohin sich wenden nach zweimal geraubter Gattin? p1c_164.021 Welche Thräne gewönn' ihm die Manen? Die Götter, p1c_164.022 welches Flehn? Auch schwamm sie schon kalt in dem Nachen p1c_164.023 des Orkus. Sieben Monden lang (das Saufte p1c_164.024 liebt das Vorausgehn der stärksten Jdee, weil dann die p1c_164.025 schwächere um so leichter nachfolgt; daher ist auch der Trochäus p1c_164.026 für das sanfte Gefühl. ─ Bey dem Heftigen p1c_164.027 steht oft die Hauptidee zum Schluß) hat er unter bedufteten p1c_164.028 Felsen, meldet die Sag', an der Woge geweint, des verlassenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/222
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/222>, abgerufen am 09.11.2024.