p1c_154.001 Uebertritt ins Geistige, mit der Freyheit vom Jnstinkt. p1c_154.002 Aber diese Freyheit muß zu einer höhern Regelmäßigkeit führen, p1c_154.003 mit ihr muß eine andere Natur beginnen, die uns den p1c_154.004 Himmel giebt. - Man hat viel über das Verhältniß des p1c_154.005 Wahren zum Schöneu gestritten. Es ist nicht zu p1c_154.006 läugnen und aus obigen Beyspielen klar, daß sich das Heftige, p1c_154.007 das Starke, das Große der poetischen Gedanken, oft p1c_154.008 von dem bedingt Wahren und Guten entfernt. Allein es ist p1c_154.009 beym Schönen gar nicht um Begriffe, sondern um Jdeen p1c_154.010 zu thun. Man will sich nur der getrennten idealen Form und p1c_154.011 ihrer Unendlichkeit bewußt werden, und die Begriffe sind p1c_154.012 Mittel, um den Schein des Jdealen zu erregen. Das p1c_154.013 Erhabene gleicht jedoch dem niedern Schönen darin, daß es p1c_154.014 die Verstandeswelt am wenigsten stört, und die einmal geordneten p1c_154.015 Begriffe des Wissens nicht leicht verwirrt. Nur p1c_154.016 muß das Große, das Heftige u. s. w., also die Abweichung p1c_154.017 von der Regel, vorausgegangen seyn, wenn das Erhabene p1c_154.018 wirken soll.
p1c_154.019 Anmerk. 3. Das Niedliche, das totum teres p1c_154.020 atque rotundum, ist die niedrigste Stufe aller Kunst, p1c_154.021 gleichwohl historisch genommen nicht die erste, auf welcher p1c_154.022 der Mensch stand. Diese war das Naive. Es ist vielmehr p1c_154.023 die tiefste, auf welche der Mensch durch Ueberkultur p1c_154.024 herabsinkt. Wo der Geschmack für das Niedliche überwiegend p1c_154.025 ist, wie in Griechenland zu den Zeiten der verderbten p1c_154.026 Sitten, in Frankreich noch vor einigen Decennien und p1c_154.027 bey uns gegenwärtig, da giebts auch niedere Sinne, enge
p1c_154.001 Uebertritt ins Geistige, mit der Freyheit vom Jnstinkt. p1c_154.002 Aber diese Freyheit muß zu einer höhern Regelmäßigkeit führen, p1c_154.003 mit ihr muß eine andere Natur beginnen, die uns den p1c_154.004 Himmel giebt. ─ Man hat viel über das Verhältniß des p1c_154.005 Wahren zum Schöneu gestritten. Es ist nicht zu p1c_154.006 läugnen und aus obigen Beyspielen klar, daß sich das Heftige, p1c_154.007 das Starke, das Große der poetischen Gedanken, oft p1c_154.008 von dem bedingt Wahren und Guten entfernt. Allein es ist p1c_154.009 beym Schönen gar nicht um Begriffe, sondern um Jdeen p1c_154.010 zu thun. Man will sich nur der getrennten idealen Form und p1c_154.011 ihrer Unendlichkeit bewußt werden, und die Begriffe sind p1c_154.012 Mittel, um den Schein des Jdealen zu erregen. Das p1c_154.013 Erhabene gleicht jedoch dem niedern Schönen darin, daß es p1c_154.014 die Verstandeswelt am wenigsten stört, und die einmal geordneten p1c_154.015 Begriffe des Wissens nicht leicht verwirrt. Nur p1c_154.016 muß das Große, das Heftige u. s. w., also die Abweichung p1c_154.017 von der Regel, vorausgegangen seyn, wenn das Erhabene p1c_154.018 wirken soll.
p1c_154.019 Anmerk. 3. Das Niedliche, das totum teres p1c_154.020 atque rotundum, ist die niedrigste Stufe aller Kunst, p1c_154.021 gleichwohl historisch genommen nicht die erste, auf welcher p1c_154.022 der Mensch stand. Diese war das Naive. Es ist vielmehr p1c_154.023 die tiefste, auf welche der Mensch durch Ueberkultur p1c_154.024 herabsinkt. Wo der Geschmack für das Niedliche überwiegend p1c_154.025 ist, wie in Griechenland zu den Zeiten der verderbten p1c_154.026 Sitten, in Frankreich noch vor einigen Decennien und p1c_154.027 bey uns gegenwärtig, da giebts auch niedere Sinne, enge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0212"n="154"/><lbn="p1c_154.001"/>
Uebertritt ins Geistige, mit der Freyheit vom Jnstinkt. <lbn="p1c_154.002"/>
Aber diese Freyheit muß zu einer höhern Regelmäßigkeit führen, <lbn="p1c_154.003"/>
mit ihr muß eine andere Natur beginnen, die uns den <lbn="p1c_154.004"/>
Himmel giebt. ─ Man hat viel über das Verhältniß des <lbn="p1c_154.005"/><hirendition="#g">Wahren</hi> zum <hirendition="#g">Schöneu</hi> gestritten. Es ist nicht zu <lbn="p1c_154.006"/>
läugnen und aus obigen Beyspielen klar, daß sich das Heftige, <lbn="p1c_154.007"/>
das Starke, das Große der poetischen Gedanken, oft <lbn="p1c_154.008"/>
von dem bedingt Wahren und Guten entfernt. Allein es ist <lbn="p1c_154.009"/>
beym Schönen gar nicht um Begriffe, sondern um Jdeen <lbn="p1c_154.010"/>
zu thun. Man will sich nur der getrennten idealen Form und <lbn="p1c_154.011"/>
ihrer Unendlichkeit bewußt werden, und die Begriffe sind <lbn="p1c_154.012"/>
Mittel, um den Schein des Jdealen zu erregen. Das <lbn="p1c_154.013"/>
Erhabene gleicht jedoch dem niedern Schönen darin, daß es <lbn="p1c_154.014"/>
die Verstandeswelt am wenigsten stört, und die einmal geordneten <lbn="p1c_154.015"/>
Begriffe des Wissens nicht leicht verwirrt. Nur <lbn="p1c_154.016"/>
muß das Große, das Heftige u. s. w., also die Abweichung <lbn="p1c_154.017"/>
von der Regel, vorausgegangen seyn, wenn das Erhabene <lbn="p1c_154.018"/>
wirken soll.</p><p><lbn="p1c_154.019"/><hirendition="#g">Anmerk.</hi> 3. Das <hirendition="#g">Niedliche,</hi> das <hirendition="#aq">totum teres <lbn="p1c_154.020"/>
atque rotundum</hi>, ist die <hirendition="#g">niedrigste</hi> Stufe aller Kunst, <lbn="p1c_154.021"/>
gleichwohl historisch genommen nicht die erste, auf welcher <lbn="p1c_154.022"/>
der Mensch stand. Diese war das <hirendition="#g">Naive.</hi> Es ist vielmehr <lbn="p1c_154.023"/>
die tiefste, auf welche der Mensch durch Ueberkultur <lbn="p1c_154.024"/>
herabsinkt. Wo der Geschmack für das <hirendition="#g">Niedliche</hi> überwiegend <lbn="p1c_154.025"/>
ist, wie in Griechenland zu den Zeiten der verderbten <lbn="p1c_154.026"/>
Sitten, in Frankreich noch vor einigen Decennien und <lbn="p1c_154.027"/>
bey uns gegenwärtig, da giebts auch niedere Sinne, enge
</p></div></div></body></text></TEI>
[154/0212]
p1c_154.001
Uebertritt ins Geistige, mit der Freyheit vom Jnstinkt. p1c_154.002
Aber diese Freyheit muß zu einer höhern Regelmäßigkeit führen, p1c_154.003
mit ihr muß eine andere Natur beginnen, die uns den p1c_154.004
Himmel giebt. ─ Man hat viel über das Verhältniß des p1c_154.005
Wahren zum Schöneu gestritten. Es ist nicht zu p1c_154.006
läugnen und aus obigen Beyspielen klar, daß sich das Heftige, p1c_154.007
das Starke, das Große der poetischen Gedanken, oft p1c_154.008
von dem bedingt Wahren und Guten entfernt. Allein es ist p1c_154.009
beym Schönen gar nicht um Begriffe, sondern um Jdeen p1c_154.010
zu thun. Man will sich nur der getrennten idealen Form und p1c_154.011
ihrer Unendlichkeit bewußt werden, und die Begriffe sind p1c_154.012
Mittel, um den Schein des Jdealen zu erregen. Das p1c_154.013
Erhabene gleicht jedoch dem niedern Schönen darin, daß es p1c_154.014
die Verstandeswelt am wenigsten stört, und die einmal geordneten p1c_154.015
Begriffe des Wissens nicht leicht verwirrt. Nur p1c_154.016
muß das Große, das Heftige u. s. w., also die Abweichung p1c_154.017
von der Regel, vorausgegangen seyn, wenn das Erhabene p1c_154.018
wirken soll.
p1c_154.019
Anmerk. 3. Das Niedliche, das totum teres p1c_154.020
atque rotundum, ist die niedrigste Stufe aller Kunst, p1c_154.021
gleichwohl historisch genommen nicht die erste, auf welcher p1c_154.022
der Mensch stand. Diese war das Naive. Es ist vielmehr p1c_154.023
die tiefste, auf welche der Mensch durch Ueberkultur p1c_154.024
herabsinkt. Wo der Geschmack für das Niedliche überwiegend p1c_154.025
ist, wie in Griechenland zu den Zeiten der verderbten p1c_154.026
Sitten, in Frankreich noch vor einigen Decennien und p1c_154.027
bey uns gegenwärtig, da giebts auch niedere Sinne, enge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/212>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.