p1c_117.001 verlor ich keine Thräne, und antwortete nichts den ganzen p1c_117.002 Tag, noch die Nacht darauf, bis die andere Sonne in der p1c_117.003 Welt heran stieg (welch ein Kontrast in diesem freyen Bilde p1c_117.004 und dem Kerker). Kaum, daß ein bleiches Tagslicht in p1c_117.005 den martervollen Kerker fiel, und ich gewahrte in den vier p1c_117.006 abgefallenen Gesichtern mein eignes. Da biß ich mich in p1c_117.007 meine beyden Hände vor Schmerz. Und sie, welche glaubten, p1c_117.008 daß ichs thät', weil mich der Hunger trieb, rafften p1c_117.009 sich plötzlich auf und sagten: "Vater, das wird uns weniger p1c_117.010 schmerzen, wenn du dich von uns sättigest. Du hast p1c_117.011 uns in dieses elende Fleisch eingekleidet, nimm du es wieder." p1c_117.012 Von nun war ich ruhig, um sie nicht mehr zu betrüben. p1c_117.013 Diesen Tag und den darauf folgenden blieben wir p1c_117.014 alle stumm. Ah harte Erde, warum hast du dich nicht p1c_117.015 geöffnet? (Ahi, dura terra, perche non t' apriesti? p1c_117.016 Welche Ruhe selbst in der Wahl des Beyworts!) Als wir p1c_117.017 nun an den vierten Tag gekommen waren, warf sich mir p1c_117.018 Gaddo ausgestreckt vor die Füße, indem er sagte: Vater p1c_117.019 mein, warum hilfst du mir nicht? Auf der Stelle dort p1c_117.020 starb er, und so wie du mich siehst, sah ich die andern drey p1c_117.021 fallen, einen und wieder einen und den letzten, zwischen p1c_117.022 dem fünften Tage und dem sechsten. Worauf ich vor p1c_117.023 Schwäche schon blind zu jedem von ihnen hinkroch und sie p1c_117.024 noch drey Tage lang rief, als sie schon gestorben waren. p1c_117.025 Alsdann endete, was der Schmerz nicht vermocht hatte, p1c_117.026 mit mir der Hunger." - - Auch im Milton giebt es p1c_117.027 grausende Stellen, z. B. die Worte, mit denen Satan p1c_117.028 die Hölle begrüßt, welche ihm zur Wohnung bestimmt ist.
p1c_117.001 verlor ich keine Thräne, und antwortete nichts den ganzen p1c_117.002 Tag, noch die Nacht darauf, bis die andere Sonne in der p1c_117.003 Welt heran stieg (welch ein Kontrast in diesem freyen Bilde p1c_117.004 und dem Kerker). Kaum, daß ein bleiches Tagslicht in p1c_117.005 den martervollen Kerker fiel, und ich gewahrte in den vier p1c_117.006 abgefallenen Gesichtern mein eignes. Da biß ich mich in p1c_117.007 meine beyden Hände vor Schmerz. Und sie, welche glaubten, p1c_117.008 daß ichs thät', weil mich der Hunger trieb, rafften p1c_117.009 sich plötzlich auf und sagten: „Vater, das wird uns weniger p1c_117.010 schmerzen, wenn du dich von uns sättigest. Du hast p1c_117.011 uns in dieses elende Fleisch eingekleidet, nimm du es wieder.“ p1c_117.012 Von nun war ich ruhig, um sie nicht mehr zu betrüben. p1c_117.013 Diesen Tag und den darauf folgenden blieben wir p1c_117.014 alle stumm. Ah harte Erde, warum hast du dich nicht p1c_117.015 geöffnet? (Ahi, dura terra, perchè non t' apriesti? p1c_117.016 Welche Ruhe selbst in der Wahl des Beyworts!) Als wir p1c_117.017 nun an den vierten Tag gekommen waren, warf sich mir p1c_117.018 Gaddo ausgestreckt vor die Füße, indem er sagte: Vater p1c_117.019 mein, warum hilfst du mir nicht? Auf der Stelle dort p1c_117.020 starb er, und so wie du mich siehst, sah ich die andern drey p1c_117.021 fallen, einen und wieder einen und den letzten, zwischen p1c_117.022 dem fünften Tage und dem sechsten. Worauf ich vor p1c_117.023 Schwäche schon blind zu jedem von ihnen hinkroch und sie p1c_117.024 noch drey Tage lang rief, als sie schon gestorben waren. p1c_117.025 Alsdann endete, was der Schmerz nicht vermocht hatte, p1c_117.026 mit mir der Hunger.“ ─ ─ Auch im Milton giebt es p1c_117.027 grausende Stellen, z. B. die Worte, mit denen Satan p1c_117.028 die Hölle begrüßt, welche ihm zur Wohnung bestimmt ist.
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/175>, abgerufen am 23.11.2024.
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